Zwanzigste Sitzung der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale (EKKI)

15.März 1926

Fortsetzung der Diskussion über den Bericht der Deutschen Kommission

BORDIGA: Die Diskussion über den Bericht der Deutschen Kommission ist an einem solchen Punkt angelangt, daß ich mich gezwungen sehe eine zweite Erklärung abzugeben, und zwar eine sehr klare Erklärung, um so mehr, als Genosse Ercoli gesagt hat, der Ton Bordigas sei in seinen Erklärungen nach und nach ein wenig aggressiver geworden.

Ich erkläre vor allem, daß meiner Ansicht nach eine rechte Gefahr tatsächlich besteht. Genosse Ercoli behauptet, daß man im Verlaufe der politischen Diskussionen eine exakte Analyse unternommen und dabei festgestellt habe, daß die rechte Gefahr in Frankreich besteht. Ich frage mich, ob es denn möglich ist, eine Analyse als eine ernste Anwendung der marxistischen Methode zu betrachten, die glaubt, uns selbst die Adresse der rechten Gefahr angeben zu können; und zwar soll sie am Quai de Jemmapes 96 oder Rue Montmartre 123, d. h., in der "Revolution Prolétarienne« oder im "Bulletin Communiste« ihre Wohnung aufgeschlagen haben. Man wird vielleicht noch hinzufügen, daß die rechte Gefahr von 6 bis 8 Uhr abends Empfangszeit habe. Die Analyse müßte ganz anders angestellt werden. Die rechte Gefahr ist vorhanden, sie besteht nicht nur in den auf dem Papier geschriebenen Resolutionen, sondern vor allem in den Tatsachen und im politischen Verbalten der Komintern, wie ich in meiner Rede zur politischen Frage auseinandergesetzt habe.
Diese Gefahr ist auch in den hier gefaßten Resolutionen enthalten: sowohl zur allgemein politischen Frage als auch zu den hier behandelten Fragen der einzelnen Parteien, zur Frage der deutschen und zur Frage der französischen Partei. Diese Gefahr kommt auch darin zum Ausdruck, daß man hier vor dem Forum der Erweiterten Exekutive die russischen Probleme nicht zur Diskussion gestellt hat. Ich habe in meiner Rede schon darauf hingewiesen, daß die Sektionen der KI, so wie sie jetzt sind, nicht imstande seien, sich mit der russischen Frage zu beschäftigen, und ich habe darin eine Bestätigung meiner Kritik gefunden. Es ist absolut notwendig, daß die Internationale sich mit dem zentralen Problem der Beziehungen zwischen dem revolutionären Kampf des Weltproletariats und der Politik des proletarischen Staates und der Kommunistischen Partei in Rußland beschäftigt; es ist notwendig, daß die Internationale die Fähigkeit erwirbt, diese Probleme zu erörtern.

Es ist wünschenswert, daß sich gegen die Rechtsgefahren ein Widerstand von links geltend macht, ich sage nicht eine Fraktion, aber ein Widerstand der Linken in internationalem Maßstabe, doch muß ich ganz offen sagen, daß diese gesunde, nützliche und notwendige Reaktion nicht in der Form eines Manövers oder einer Intrige zum Ausdruck gebracht werden kann noch darf. Ich bin einverstanden mit dem Genossen Ercoli, wenn er es für unsinnig erklärt, daß Genossen, die in der politischen Debatte dem Bericht und den Thesen vollkommen zugestimmt haben, jetzt in letzter Stunde - nicht gegen die internationale rechte Abweichung, sondern gegen die Resolution zur deutschen Frage - Opposition machen. Diese Genossen, die gegen die allgemeine politische Linie keine Einwände zu machen wissen, gehen manchmal zur Opposition über, weil sie als Gruppen, als Führer oder als Exführer nicht zufrieden sind mit den Resolutionen, die ihre Partei und ihr Land betreffen. Aus diesem Grunde kann ich mich mit ihnen, mit dieser sogenannten ultralinken Opposition, nicht solidarisch erklären. Ich sage das nicht, um die Sympathie der Mehrheit zu gewinnen, der ich gerade die Verantwortung für ein solches System zuschreibe, um so mehr, als ja die Oppositionellen von heute früher von dieser Mehrheit, die sie als die besten der Führer betrachtete, unterstützt wurden.

Ich komme zum Schluß: Was speziell die deutsche Frage anbelangt, so bin ich der Meinung, daß man den guten revolutionären deutschen Arbeitern von der Linken sagen muß, daß sie sich vor zwei falschen Linien in acht nehmen müßten, - sowohl vor dem Defätismus und dem Mißtrauen in bezug auf die Internationale und die russische Revolution, die sich unter einmütig angenommenen Deklarationen bergen, als auch vor dem blinden Optimismus, der jede Diskussion und jede Auseinandersetzung vermeiden will, der keine wirkliche Ausnutzung der Erfahrung und keine Mitarbeit der kommunistischen Avantgarde des Proletariats will, sondern religiösen und dogmatischen Standpunkten huldigt. Ich habe auseinandergesetzt, warum dieses letztere Verhalten für die Beziehungen zwischen dem Weltproletariat und der russischen Revolution ebenso gefährlich ist wie das erstere. Die russische Partei und Sowjetrußland haben die größte revolutionäre Erfahrung, sie allein haben den revolutionären Sieg erfochten, aber die revolutionären Arbeiter Deutschlands haben auch ihre eigenen Erfahrungen, Sie müssen sich auch stützen auf die Lehren, die ihnen ihre Kämpfe und ihre Niederlagen gegeben haben. Man muß es ihrer Tradition und ihrem Klasseninstinkt gestatten, in bezug auf rechte Gefahren befragt zu werden, von denen gerade sie im Verlaufe der letzten Kämpfe hart betroffen waren. Diese Arbeiter-Avantgarde muß klar Stellung nehmen, sowohl zur Taktik der Partei, so, wie sie heute mit ihren sehr zweifelhaften Manövern gegenüber der Sozialdemokratie und in der berühmten Kampagne für das Volksbegehren zum Ausdruck kommt, als auch zur allgemeinen Linie der Komintern und zu den Problemen der Politik der russischen Partei, die im Mittelpunkt der Politik der Weltrevolution stehen. Da die russische Revolution die erste große Etappe der Weltrevolution ist, so ist sie auch unsere Revolution, ihre Probleme sind unser Probleme, jedes Mitglied der revolutionären Internationale hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, an ihrer Lösung mitzuarbeiten.

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Author Amadeo Bordiga
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