Debatte über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale

BORDIGA: Ich möchte Euch einige Beobachtungen unterbreiten, die ich vorschlage, als Einleitung zu den von der Kommission in Vorschlag gebrachten Leitsätzen zu benutzen, und außerdem noch eine konkrete Bedingung, die folgendermaßen lautet: "Die Parteien, die bis jetzt ihr altes demokratisches Programm aufrechterhalten, sind verpflichtet, dasselbe unverzüglich einer Revision zu unterziehen und ein neues kommunistisches Programm auszuarbeiten, den Bedingungen ihres Landes entsprechend im Geiste der Kommunistischen Internationale.

Es ist Regel, daß die Programme der der Kommunistischen Internationale beigetretenen Parteien von den internationalen Kongressen oder durch das Exekutivkomitee bestätigt werden.

Falls dieses letztere einer Partei die Sanktion versagt, ist die Partei berechtigt, sich an den Kongreß der Kommunistischen Internationale zu wenden." Dieser Kongreß hat eine außerordentliche Bedeutung; er muß die ewigen Grundsätze der Kommunistischen Internationale verteidigen und festigen.

Als Genosse Lenin, im April 1911 glaube ich, nach Rußland zurückkehrte und einen kurzen Entwurf des neuen Programms der Kommunistischen Partei vorlegte, sprach er auch von der Neubelebung der Internationale.

Er sagte, daß diese Arbeit sich auf ewige Grundlagen stützen müßte, daß man einerseits die Sozialpatrioten, andererseits die Sozialdemokraten entfernen müsse, diese Anhänger der II.

Internationale, die es für möglich halten, die Befreiung des Proletariats ohne Klassenkampf mit den Waffen in der Hand, ohne die Notwendigkeit, nach dem Siege, in der Zeit des Aufstands, die Diktatur des Proletariats einzuführen, erreichen zu können.

Die Gründung der Kommunistischen Internationale in Rußland führte uns zum Marxismus zurück.

Die revolutionäre Bewegung, die sich aus den Ruinen der II.

Internationale gerettet hatte, machte sich mit seinem Programm bekannt, und die Arbeit, die nun begann, führte zur Bildung eines neuen Staatsorganismus auf der Grundlage der offiziellen Verfassung.

Ich glaube, wir befinden uns in einer nicht vom Zufall geschaffenen, sondern vielmehr in einer vom Gang der Geschichte bestimmten Situation.

Ich glaube, uns droht die Gefahr, daß rechte und zentristische Elemente sich in unsere Mitte drängen.

Nachdem die Parole "Sowjetordnung" in das russische und das internationale Proletariat der Welt hinausgeschleudert wurde, erhoben sich nach Beendigung des Krieges die Wogen der Revolution, und das Proletariat der ganzen Welt setzte sich in Bewegung.

In allen Ländern fand in den alten sozialistischen Parteien eine natürliche Auslese statt.

Es entstanden kommunistische Parteien, die den revolutionären Kampf mit der Bourgeoisie aufnahmen.

Die darauffolgende Periode war eine Zeit des Stillstandes, da die Revolution in Deutschland, in Bayern und in Ungarn durch die Bourgeoisie unterdrückt worden ist.

Der Krieg ist jetzt beendet.

Das Kriegsproblem und die Frage der nationalen Verteidigung bieten im Augenblick kein unmittelbares Interesse mehr.

Es ist sehr einfach, jetzt zu sagen, daß man in einem neuen Kriege nicht wieder in die alten Irrtümer verfallen wird, d.h. in den Fehler der heiligen Einheit und der nationalen Verteidigung.

- Die Revolution sei noch fern, werden unsere Gegner sagen, sie sei für sie kein Problem des Augenblicks, und sie werden die Leitsätze der Kommunistischen Internationale annehmen: die Macht der Sowjets, die Diktatur des Proletariats, den roten Terror.

Wir würden also in großer Gefahr sein, wenn wir den Fehler machten, diese Leute in unsere Reihen aufzunehmen.

Die Kommunistische Internationale kann den Lauf der Geschichte nicht beschleunigen.

Sie kann die Revolution weder schaffen noch gewaltsam hervorrufen.

In unserer Macht steht es nur, das Proletariat vorzubereiten.

Aber unsere Bewegung muß der Lehren, die der Krieg und die russische Revolution uns gegeben haben, eingedenk sein.

Meiner Meinung nach müssen wir ihnen die größte Aufmerksamkeit schenken.

Die rechten Elemente nehmen unsere Leitsätze an, aber in einer ungenügenden Weise, mit einem gewissen Vorbehalt.

Wir Kommunisten müssen verlangen, daß diese Annahme eine vollständige ist und ohne Einschränkungen für die Zukunft.

Wir haben die erste Anwendung der marxistischen Methode und Theorie in Rußland gesehen, d.h. in einem Lande, wo die Entwicklung der Klassen noch kein hohes Niveau erreicht hat.

Diese Methode muß also in Westeuropa, wo der Kapitalismus besser entwickelt ist, mit größerer Klarheit und Konsequenz angewandt werden.

Man sprach hier von einem Unterschied zwischen den Reformisten und den Revolutionären.

Das ist eine veraltete Ausdrucksweise.

Es kann keine Reformisten mehr geben, selbst wenn sie als Anhänger des Sozialismus den Klassenkampf zulassen, dabei aber hoffen, daß die Art dieses Kampfes eine andere sein wird als in Rußland.

Ich bin der Meinung, Genossen, daß die Kommunistische Internationale fest bleibt, daß sie ihren politisch-revolutionären Charakter ohne zu wanken aufrecht erhält.

Den Reformisten müssen wir unübersteigbare Barrikaden errichten.

Diese Parteien müssen gezwungen werden, eine genaue Erklärung ihrer Prinzipien zu geben.

Man müßte ein für alle Parteien der Welt gemeinsames Programm einführen, was leider zur Zeit nicht möglich ist.

Die Kommunistische Internationale besitzt keine Mittel, um sich zu überzeugen, daß diese Leute dem kommunistischen Programm Folge leisten.

Wenn man im 16.

Leitsatz sagt: "Parteien, die bisher noch ihre alten sozialdemokratischen Programme beibehalten haben, sind verpflichtet, in möglichst kurzer Zeit diese Programme zu ändern und entsprechend den besonderen Verhältnissen ihres Landes ein neues kommunistisches Programm im Sinne der Beschlüsse der Kommunistischen Internationale auszuarbeiten", müßte man nach den Worten: "diese Programme zu ändern" folgende Worte ausstreichen: "und entsprechend den besonderen Verhältnissen ihres Landes" und "im Sinne der Kommunistischen Internationale" streichen, und sie durch die Worte ersetzen: "in welchem die Grundsätze der Kommunistischen Internationale in einer unzweideutigen und mit den Resolutionen der internationalen Kongresse vollständig übereinstimmenden Weise festgelegt werden.

Die Minderheit der Partei, die sich gegen dieses Programm erklärt, muß aus der Parteiorganisation ausgeschlossen werden.

Die Parteien, die ihr Programm geändert haben und der Kommunistischen Internationale beigetreten sind und diese Bedingung nicht erfüllt haben, müssen sofort einen außerordentlichen Kongreß einberufen, um sich darüber zu einigen.

Diese Bedingung, über die die Vertreter der Französischen Sozialistischen Partei sich nicht geäußert und nicht gesagt haben, daß sie Renaudel und andere aus ihrer Partei ausschließen, muß klar und deutlich gestellt werden.

Alle gegen das neue Programm Stimmenden müßte man aus der Partei ausschließen.

Betreffs des Programms gibt es keine Disziplin.

Entweder man nimmt es an, oder man nimmt es nicht an; wenn nicht, dann scheidet man aus der Partei aus.

Das Programm ist etwas, was allen gemeinsam ist; es ist nicht etwas, was von der Mehrzahl der Parteikämpfer aufgestellt ist.

Es ist das, was den Parteien vorgelegt wird, die in die Kommunistische Internationale aufgenommen werden wollen.

Es muß ein Unterschied sein zwischen dem Wunsche, der Kommunistischen Internationale beizutreten und der Tatsache, von ihr aufgenommen zu werden.

Ich meine, man muß dem Exekutivkomitee nach dem Kongreß Zeit geben, darauf zu achten, daß alle den Parteien von der Kommunistischen Internationale auferlegten Verpflichtungen auch erfüllt werden.

Nach dieser Zeit, nach der sogenannten Organisationsperiode, müßte man die Tür schließen.

Mein Vorschlag geht dahin, daß die Bedingung des Genossen Lenin, die zurückgezogen worden ist, wieder aufgestellt wird, nämlich die, daß in den Parteien, die aufgenommen werden wollen, eine gewisse Anzahl Kommunisten die Führung, der Parteiorgane übernehmen.

Ich würde vorziehen, daß alle Kommunisten wären.

Der Opportunismus muß überall bekämpft werden.

Aber diese Aufgabe wird uns sehr schwer fallen, wenn in demselben Augenblick, wo man Maßnahmen trifft, um die Kommunistische Internationale zu reinigen die Tür geöffnet wird, um die Draußenstehenden eintreten zu lassen.

Ich habe im Namen der italienischen Delegation gesprochen.

Wir verpflichten uns, die Opportunisten in Italien zu bekämpfen.

Wir wünschen aber nicht, daß sie von uns fortgehen, um irgendwie anders in die Kommunistische Internationale aufgenommen zu werden.

Wir sagen Euch: Nachdem wir mit Euch gearbeitet haben, wollen wir in unser Land zurückkehren und eine einheitliche Front gegen alle Feinde der kommunistischen Revolution bilden.

Sechste Sitzung des II Kongresses der KI am 29 Juli 1920

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Author Amadeo Bordiga
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