Der ursprüngliche Inhalt des kommunistischen Programms besteht in der Annullierung des Individuums als ökonomischem Subjekt, Inhaber von Rechtstiteln und Akteur der Menschheitsgeschichte

Marxismus und Eigentum

Ein Thema, das uns häufig beschäftigt hat, behandelt die Formel, die im kommunistischen Programm die gegenwärtige der post-bürgerlichen Epoche gegenüberstellt. Diesem Thema wandte sich die alte Studie "Eigentum und Kapital" in "Promete ", Nr. 10 aus dem Jahre 1948 zu. Wir diskutierten dort das geläufigste Propagandaschlagwort des Vorkriegssozialismus und kamen auf unserer letzten Versammlung in Turin erneut darauf zurück: Abschaffung des Privateigentums an Produktions- (und Tausch-) mitteln. Die Klammer setzen wir, weil es in einem Text Engels' so vorgegeben ist.

Das Substantiv "Abschaffung" ist nie zufriedenstellend gewesen. Es lässt den Willensakt durchscheinen und passt zu den Anarchisten und (logischerweise) Reformisten. Das Adjektiv "privat" wirft die Frage auf, ob in der kommunistischen Gesellschaft das als Eigentum definierte Verhältnis verschwinden oder nur das Subjekt wechseln soll.

Im Grunde liegt in der Suche nach diesem neuen Subjekt die ganze Basis der Abweichungen und des alten sowie neuen, stets philiströsen Immediatismus1. Soll das Eigentum vom Privatunternehmer (in der Umgangssprache: vom Boss) auf Produzentengruppen, Produzenten-Konsumentenkreise, den Staat, Berufszweige oder gar auf gesellschaftliche Schichten übergehen?

Unsere in Turin und in dem "Nachtrag"2 dargelegte Untersuchung führte zu der These, dass kein Eigentumssubjekt weiter bestehen darf, wie es die historisch sterilen kleinbürgerlichen Ideologien vorsehen, und auch kein Eigentumsobjekt, wie Produktions- oder Tauschmittel, Boden, fixe Anlagen oder Konsumgüter - auch keine persönlichen.

Da irgendwo aufgeschnappte Formulierungen eine frappierende Hartnäckigkeit aufweisen, zeigte der "Nachtrag" anhand erhellender Passagen von Marx und Engels, dass es sich dabei um keine neue Theorie, sondern wie immer um eine klassische These des Marxismus handelt. Einer grundlegenden Passage des dritten Bandes des "Kapital" folgend, konnten wir schließlich beweisen, dass der Kommunismus nicht einmal als vom Individuum an die Gesellschaft übertragenes Eigentum an Grund und Boden definiert werden kann. Denn: Das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Boden ist, will man es mit einem Begriff der herkömmlichen Rechtswissenschaft bezeichnen, kein Eigentumsverhältnis, sondern eines des zeitlich befristeten Nießbrauchs.

Aber vielleicht könnte man denken, es gebe Marx'sche Formulierungen, die dafür plädieren, das persönliche, individuelle Eigentum an Konsumgütern beizubehalten, wenigstens das der Lohnarbeiter, die diese sicherlich nicht dem Ertrag der Arbeit anderer entzogen haben. Eine solche Denkweise stützt sich nicht auf den Marxismus, sondern - wie sich gezeigt hat - auf eine verschwommene und unfruchtbare Ausbeutungsphilosophie, die die Grundlage zahlreicher falscher Linksradikalismen bildet (etwa Chaulieu von "Sozialismus oder Barbarei" 3, ein nicht unbedarfter Theoretiker, jedoch im Bann des traurigen Kreises des Immediatismus).

Für den Marxismus ist jede Ware in der bestehenden Gesellschaft Kapital - insofern das Kapital nichts anderes als die Gesamtheit aller zirkulierenden Waren ist; damit sind wir beim Abc! - und enthält einen Teil Mehrwert, also herausgepresste und unbezahlte Arbeit. Wer eine Ware kauft und konsumiert, eignet sich die Arbeit anderer an, wobei 4 das moralische Kriterium, dass andere sich die seine im Produktionszyklus auch angeeignet haben, nicht zählt.

Sobald man im Zuge dieser Untersuchungen auf diese scheinbar harmlosen Verirrungen stößt, ist es notwendig, sich die Merkmale klarzumachen, die den Kapitalismus von den vorkapitalistischen Produktionsformen unterscheiden; wir müssen uns also fragen, was nach dem klassischen Marxismus die differentia specifica5 der kapitalistischen Produktionsweise ist.

Es wäre naiv, den Kapitalismus als System zu kennzeichnen, in dem eine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen stattfindet; zum einen gibt es Ausbeutung auch in anderen Produktionsweisen, wie in der Leibeigenschaft oder Sklaverei, die eben nicht kapitalistisch waren; und zum anderen darf diese Definition nicht das Verhältnis zwischen zwei Individuen aufzeigen, sondern muss den Verlauf der gesamten gesellschaftlichen Dynamik sowie die Verhältnisse zwischen den Klassen erfassen. Auch die Formel der Ausbeutung einer Klasse durch eine andere ist, obwohl besser, unvollständig.

Man kann sich, zumindest theoretisch, eine auf Privateigentum beruhende, also mitnichten sozialistische Gesellschaft vorstellen, ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen oder einer Klasse durch eine andere. Man braucht nur eine Gesellschaft einfacher Warenproduktion zu nehmen, wenn man nicht gar an eine Gesellschaft selbständiger, autarker, d.h. landwirtschaftlicher und handwerklicher Produzenten denken will, die ausschließlich jene Erzeugnisse verbrauchen, an denen sie selbst Hand angelegt haben.

Enteignung, nicht Aneignung

Unsere Schule behandelt den Kapitalismus nicht als eine außer der Zeit liegende Struktur, sondern charakterisiert seinen historischen Anbruch. Bei Marx kennzeichnet den Kapitalismus die Trennung des Arbeiters von seinen Arbeitsbedingungen, wie aus jedem Parteitext klar hervorgeht. Das Kapital bildet sich mittels der Enteignung der freien Produzenten heraus, die, ihres Bodens und ihrer Arbeitsmittel beraubt, auch kein Anrecht mehr auf die Produkte ihrer Arbeit haben. Dies sind die Umstände und Bedingungen, von denen die Produzenten zwangsläufig "geschieden" werden und lediglich Träger von Arbeitskraft bleiben, die gegen einen Geldlohn verkauft wird. Das Kapital schafft nicht den "Privatismus", den wir Sozialisten dann später nur noch zu zerschlagen hätten; so einfach liegen die Dinge nicht. Allerdings "vergesellschaftet" das Kapital, weil es die zersplitterten Mittel, die es den freien Produzenten entrissen hat, in großen Massen konzentriert; und damit erreicht es ein historisch und ökonomisch positives Ergebnis, insofern dies zur breiten Kooperation der Arbeiter führt. In einer ersten Phase befriedigt dieses System besser als das vorangegangene nicht nur die Bedürfnisse der Kapitalisten, sondern der gesamten Gesellschaft und selbst der Arbeiter, vor allem im Bereich der Industrieerzeugnisse, die den Armen der vorbürgerlichen Zeit so gut wie unbekannt waren.

Die Dialektik der "Expropriation der Expropriateure" - unzählige Male im "Manifest", im "Kapital" und im "Anti-Dühring" zu finden - beschränkt sich nicht auf eine dereinst abzulegende Buße, auf die Zurückgabe des böswillig Geraubten, auf ein banales "Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist", wie dies der immediatistischen Frömmelei erscheinen mag, sondern sie ist die historische Summe zweier Vorwärtssprünge, zweier Revolutionen, die im Allgemeinen zeitlich weit auseinander liegen, jedoch beide gute Arbeit geleistet haben.

Die kapitalistische Produktionsweise hat die rein private Form durch eine mehr gesellschaftliche ersetzt, und im Wesentlichen gilt diese These auch für die Aneignung der Produkte. Waren diese vorher in geringen Mengen im Besitz der selbstwirtschaftenden Produzenten, die sie konsumieren oder tauschen konnten, so stehen sie heute zum größten Teil einer kleinen und ständig abnehmenden Anzahl von Unternehmern zur Verfügung.

Doch jener Teil der Produkte, den wir als Kapitalgüter oder Werkzeuge bezeichnen (wobei der Ausdruck Kapitalgüter besser ist, weil hier abgesehen von den Werkzeugen und Maschinen auch die Halbfabrikate mit einbegriffen sind, die für den nächsten Produktionszyklus bereitgestellt werden), zirkuliert weiterhin und massenhaft im gesellschaftlichen Produktionsprozess, während nur jener Teil der Fertigprodukte, den wir Konsumgüter nennen, auf dem Markt abgesetzt und von allen erworben wird: entweder von den Arbeitern, oder von den Kapitalisten oder den anderen, aus früheren Gesellschaften überkommenen Schichten.

Woraus folgt, dass der Kapitalismus eine nicht mehr individuelle, sondern gesellschaftliche Produktionsweise ist; allein die Distribution ist individuell. Doch läßt sich Letzteres noch nicht einmal auf die - übrigens prozentual überwiegenden - Kapitalgüter beziehen, vielmehr gilt dies nur für die unmittelbaren Konsumgüter, die von allen erworben werden - natürlich nicht in gleichem Umfang.

Wohlgemerkt, in unserer Doktrin taugt nicht einmal die heutige Ungleichheit dazu (ebenso wenig wie die gestrige Ungerechtigkeit), den Kapitalismus zu definieren, der sich vor allem durch die Beseitigung der Freiheit des Produzenten kennzeichnen läßt. Was den politischen Überbau des Kapitalismus aber überhaupt nicht daran gehindert hat, sich mit Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zu schmücken.

Tatsächlich wird der Sozialismus alles andere vorschlagen als die Aufteilung von Grund und Boden, Arbeitsmitteln und Produkten in ebenso viele Partikel, wie es Menschen gibt; etwas, was für alle nicht direkt konsumierbaren Produkte eine offensichtliche Absurdität und für die Konsumgüter selbst ganz und gar läppisch wäre.

Theoretische Strenge Lenins

Ein von Lenin Ende des 19. Jahrhunderts geschriebener Text, der uns im Weiteren noch nützlich sein wird, handelt von der grundlegenden Auffassung der Krisentheorie und trägt (den Revisionisten zum Hohn) die Überschrift: "Zur Charakteristik der ökonomischen Romantik". Vielleicht werden sich die Leser daran erinnern, dass wir verschiedentlich die stalinistische Degenerierung der russischen Revolution als Romantizismus gekennzeichnet haben.6

Einige Zitate aus diesem Text bezeugen, dass ein bestimmtes Verständnis, das noch heute schwer in die Köpfe reingeht, seit langem Allgemeingut unserer Schule ist. Lenin mokiert sich über den russischen Ökonomen Efrussi wegen dessen fehlerhafter Definition der Krisen, die er mit dem großen Sismondi und mit Rodbertus gemein hat (dem Deutschen, der behauptete, Marx habe ihn in der Lohntheorie plagiiert). Lenin zeigt dabei, dass so manche postmarxistische Entstellung lediglich die bereits von Marx aufgedeckten und überwundenen Irrtümer wieder neu auflegt; eine Feststellung, die auch heute noch, mehr als ein halbes Jahrhundert später, zutrifft. Keynes und die Wohlstandstheoretiker sind tatsächlich dort stehengeblieben, wo auch schon Efrussi stand, ebenso wie vor ihm Rodbertus oder Sismondi: Die Krise bedeute ein Missverhältnis zwischen Produktion und Konsumtion, und um es zu beseitigen, gelte es, die Konsumtion, vor allem die der Lohnabhängigen, zu fördern und anzuregen.

Lenin macht sich über diese Binsenwahrheit lustig, derzufolge die Krise eintrete, weil nicht alles Produzierte auch gekauft werde, kein Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion herrsche bzw. das Gleichgewicht fehle, weil der Produzent (der Kapitalist) die Nachfrage nicht vorhergesehen habe. Hier geht es um die Folge, nicht aber um die Erklärung der Ursache. Lenin hebt hervor, dass Unterkonsumtion eine allen Ökonomien gemeinsame Erscheinung ist, während die Krisen allein der kapitalistischen Ökonomie eigen sind.

Gegen die klassischen Ökonomen gewandt, leiten Malthus und Sismondi den gesellschaftlichen Reichtum nicht aus der Produktion, sondern aus der Konsumtion ab. Rodbertus geht nur einen kleinen Schritt weiter, weil er die Ursache der Krisen dem niedrigen Konsum der Arbeiter zuschreibt - aber damit auch dem reformistischen und gradualistischen Immediatismus auf die Welt hilft. Auf demselben Boden stehen auch heute die Ökonomen, die glauben, noch ein Wörtchen mehr als Marx sagen zu können und, wie wir in Asti sagten7, Malthus wieder hervorkramen, der zur Lösung des ökonomischen Rätsels die Konsumtion dem Grundadel und den Pfaffen überlassen wollte! Das Ideal dieses modernen Popen sehen wir in Amerika verwirklicht, bei jenem Beschäftigten, der am Gewinn beteiligt wird - mit Auto, Eigenheim, Fernseher, usw.

Aber kommen wir zur Sache; Lenin entschuldigt Sismondi und Rodbertus, wir aber können nicht Chaulieu oder Keynes entschuldigen. Erstere "konnten" nicht wissen, "dass man die Kritik am Kapitalismus nicht auf Phrasen über allgemeine Wohlfahrt" (Sismondi) "oder über die Untauglichkeit einer ‘sich selbst überlassenen Zirkulation'" (Rodbertus) "aufbauen darf, sondern dass es notwendig ist, sie auf den Charakter der Evolution der Produktionsverhältnisse zu gründen" [LW 2, S. 165/66]. Sie konnten das nicht wissen, weil sie schrieben, bevor der Marxismus entstand.

Was wussten sie nicht? Keiner hat es treffender als Lenin gesagt: "Die Krisen sind notwendig, weil der kollektive Charakter der Produktion mit dem individuellen Charakter der Aneignung in Widerspruch gerät" [LW 2, S. 164]. Einige Seiten vorher lautet dieses grundlegende Theorem des Marxismus unter Beifügung einer Klammer: "(...) die Krisen das Unterscheidungsmerkmal nur eines Systems sind, des kapitalistischen. Diese Theorie erklärt die Krisen aus einem anderen Widerspruch, nämlich dem Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion (die durch den Kapitalismus vergesellschaftet worden ist) und der privaten, individuellen Aneignungsweise" [LW 2, S. 161].

Lenin fährt fort: "'Anarchie der Produktion', ‘Planlosigkeit der Produktion' - was ist mit diesen" (uns wohlbekannten) "Ausdrücken gemeint? Der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und dem individuellen Charakter der Aneignung" [LW 2, S. 165].

Halten wir aus dieser Lenin'schen Passage den Begriff der "Unterkonsumtion" fest. Verschiedene Epochen wiesen dieses Phänomen auf, das von einer Dezimierung der Bevölkerung begleitet war. Die kapitalistische Epoche demonstriert ihren Abscheu gegenüber der Unterkonsumtion und hängt dem Mythos der Überproduktion an, weshalb sie auf Überkonsumtion und Überbevölkerung angewiesen ist. Es ist an der Zeit, uns von einem anderen Nachahmungskomplex hinsichtlich der bürgerlichen Gesellschaftsform zu befreien: Wenn es für den Sturz des Kapitalismus erforderlich ist, darf die proletarische Revolution nicht zögern, eine Periode der Unterkonsumtion zu durchlaufen. Vor 40 Jahren zeigte Lenins Revolution, dass man nicht zögern durfte - freilich sollte nicht das kapitalistische, sondern das sozialistische System den Sieg davontragen. Für das Proletariat und seine Partei bleibt dennoch eine große Lehre: Die revolutionäre Diktatur wird den Charakter einer Diktatur über die Konsumtion annehmen: Der einzige Weg, um die Knechte des modernen Kapitals zu entgiften und sie vom Klassenbrandmal zu befreien, das ihnen ins Fleisch wie auch ins Hirn gebrannt wurde.

Dieses ist jedem auf immediatistische Ziele gerichteten Kreis fremd: sei es nun eine Gemeinde, ein Bezirk, eine Berufsgruppe oder Produzentenklasse (wir müssen hier an die treffende Formulierung von Marx erinnern, hinsichtlich der Kontrolle, die der Gesellschaft, und nicht einer Produzentenklasse, übertragen werden muss, also auch nicht einer Klasse von Nicht-Müßiggängern und Nicht-Ausbeutern).8 Und es ist eine Sache, die sich in die Ohnmachtskette aller organisierten Formen einreiht, die außerhalb der politischen Partei stehen: Gewerkschaften, Betriebsräte, lokale Räte.

Die richtige Formulierung

Wieder berufen wir uns auf die vollständige marxistische Analyse. Die kapitalistische Gesellschaftsform ist diejenige, die die Arbeiter von den objektiven Bedingungen ihrer Arbeit vollständig trennt. Indem diese Scheidung gewaltsam und mit grauenhaften Mitteln durchgesetzt wird, verwandelt der Kapitalismus die individuelle Produktion in eine gesellschaftliche, belässt es aber bei der individuellen Aneignung der Produkte. Die vom Kapitalismus enteigneten freien Produzenten werden in Proletarier verwandelt, die nun reservelos sind und vom Verkauf ihrer Arbeitskraft gegen Geld leben, mit dem sie einen Teil vom Gesamtprodukt für ihren eigenen persönlichen Konsum erwerben, d.h. für die Reproduktion ihrer Arbeitskraft.

In der sozialistischen Form bleibt die Produktion gesellschaftlich, und deshalb gibt es Niemandes Eigentum an irgendeiner Art von Produktionsmitteln, worunter auch Boden und fixe Anlagen zu verstehen sind. In dieser Gesellschaft wird es keine individuelle Aneignung, nicht einmal zum Zwecke des Konsums geben. Die Verteilung wird gesellschaftlich sein und gesellschaftliche Zwecke erfüllen. Die gesellschaftliche Konsumtion unterscheidet sich von der individuellen, insofern sich die physische Zuteilung der konsumierbaren Güter nicht über die Vermittlung der Marktwirtschaft und des Geldes vollzieht.

Wenn die Gesellschaft, unabhängig vom mehr oder minder großen Beitrag des Einzelnen zur gesellschaftlichen Arbeit, sämtliche Bedürfnisse ihrer Mitglieder befriedigt (Bedürfnisse, die einer höheren gesellschaftlichen Entwicklung entsprechen werden), hört jedes persönliche Eigentum auf zu existieren und damit dessen Maß, der Wert, und dessen Symbol, das Geld.

In den Anfängen des Kampfes des modernen Proletariats wurden des Öfteren unvollkommene Formulierungen benutzt, ohne jedoch zu behaupten, dass sie den vollständigen Ausdruck der Lehre enthielten. Diesem Umstand ist das wiederholte Auftauchen von Ausdrücken wie "Vergesellschaftung der Produktionsmittel" oder "Respektierung des persönlichen Eigentums des Arbeiters" geschuldet. Historisch gesehen ergab sich daraus kein schwerwiegendes Missverständnis, da der allgemeine Raub an dem wenigen persönlichen Eigentum, an Werkzeugen und Produkten des selbstwirtschaftenden Produzenten noch eine ganz neue Erscheinung war. Ganz ähnlich, wenn Marx in Kauf nehmen musste, in der Generaladresse der Internationalen Arbeiterassoziation die Sätze über Gerechtigkeit und Freiheit der Individuen und Völker stehen zu lassen, wobei er sie an Stellen zu platzieren wusste, wo sie keinen Schaden anrichten konnten.9

Der Verlauf des Kapitalismus hat heute einen ganz anderen, vom klassischen Marxismus vollständig vorausgesehenen Punkt seiner Kurve erreicht; und ob eine Agitationslosung der Arbeiterklasse nutzt, lässt sich nicht daran ablesen, ob sie wie damals von den bestehenden Mächten frontal angegriffen wird.

Bei der Fortsetzung der Arbeit zum "Nachtrag" sind wir verpflichtet, die Darstellung so weiterzuführen, wie wir es bei Marx im berühmten Brief an Engels für die Episode der I. Internationale sehen können, um jeglichen Zweifel zu zerstreuen, wir wollten dort irgendetwas aus eigener Feder hinzuzufügen, wo andere den Marxismus amputiert haben.

Grobe Umrisse der zukünftigen Gesellschaft

Die immer umfangreicheren und von allen Seiten her in Umlauf gebrachten Forschungen über die marxistischen Schriften (selbst durch jene, die behaupten, man solle mit all diesen ihrer Ansicht nach veralteten Bezugnahmen auf Marx nun endlich Schluss machen) haben zur Entdeckung und Publizierung auch der Randglossen geführt, mit denen Marx die von ihm gelesenen und kritisierten Bücher versah.

Der von uns gleich benutzte Auszug, dessen Kontinuität und folglich Kraft durch einen von uns hinzugefügten Kommentar geschmälert werden wird, verdient sehr aufmerksam gelesen zu werden. Er ist den Anmerkungen zum Werk des englischen Ökonomen und Philosophen James Mill entnommen, Vater des bekannteren Ökonomen und Philosophen John Stuart Mill, den Marx in seinen späteren Werken sowie in den "Theorien über den Mehrwert" ausführlich zitiert. Es handelt sich dabei um sechs Seiten aus einem Notizbuch. Mehr als die Kritik am System von Mill Senior, interessieren uns diese Seiten als freie gedankliche Exkursion Marxens auf die Ebene der kommunistischen Gesellschaft, was ihm angeblich immer fremd gewesen sei.

Man muss sich klar machen, dass der junge Marx bereits die vollständige Kritik des Hegel'schen Idealismus entwickelt hatte, als er sein Werk "Zur Kritik der Hegel'schen Rechtsphilosophie", das aus denselben Jahren stammt, abschloss. Jedoch musste die von ihm bevorzugte Form der Darstellung, besonders in einer nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen Ausführung, mit der hegelianischen Methode "kokettieren", was er auch mehr als 20 Jahre später im Vorwort zum ersten Band des "Kapital" zugesteht.

Es verwundert daher nicht, wenn diese Textstelle, die wir als wahres Manifest gegen jeglichen Individualismus heranziehen, die Polemik in der individuellen Form eines Dialogs zwischen den Personen Ich und Du ausdrückt. Möglicherweise deshalb, weil Mill in seiner Behandlung der Theorie des Tauschs zwischen Warenproduzenten nach der alten und noch immer gebräuchlichen Methode der Berufsökonomen vorgeht, d.h. seine ganze Analyse (die auf die Apologie des Marktes und des Tauschgesetzes hinausläuft) auf den Elementarfall des Hinz stützt, der eine Ware produziert, die ein Bedürfnis Kunz' befriedigt.

Marx übernimmt diese Hypothese eines persönlichen Verhältnisses und errichtet darauf in dialektischer Weise eine Kritik, die den Egoismus der beiden einzelnen Personen - den bürgerlichen Ökonomen zufolge genauestens in Wert und Geld messbar, weshalb beide ein Geschäft anbahnen - innerhalb der niedrigen und gemeinen Grenzen einer Marktwirtschaft hervortreten lässt. Im ganzen Zitat ist das Bestreben augenscheinlich, alles auf reale und materielle Verhältnissen zu stützen, auch wenn die literarische Form den Anschein erwecken mag, davon zu abstrahieren.

"Du hast allerdings als Mensch eine menschliche Beziehung zu meinem Produkt: du hast das Bedürfnis meines Produktes. Es ist daher für dich als Gegenstand deiner Begierde und deines Willens vorhanden. Aber dein Bedürfnis, deine Begierde, dein Wollen sind ohnmächtiges Bedürfnis, Begierde, Wollen für mein Produkt" [MEW 40, S. 460].

Wir bitten für diese erste Unterbrechung um Verzeihung, doch wir wollen deutlich machen, dass wir dabei sind, eine Gesellschaft zu beschreiben, die sich aus Eigentümern an den Produkten zusammensetzt. Das Mitglied Du kann nicht einfach die Hand ausstrecken und das Produkt, nach dem ihn so verlangt, vom Mitglied Ich nehmen, denn die bürgerliche Gesellschaft verbietet ihm das.

"D.h. also, dein menschliches und darum auf meine menschliche Produktion notwendig in innerlicher Beziehung stehendes Wesen, ist nicht deine Macht, dein Eigentum an dieser Produktion, denn nicht die Eigentümlichkeit, nicht die Macht des menschlichen Wesens ist anerkannt in meiner Produktion".

Mit eurer Erlaubnis erläutern wir den Sinn: Die bürgerliche Gesellschaft anerkennt nicht das Recht irgendeines Menschen10, meine Produktion zu konsumieren; nur mir und dem, der mir zahlt, gibt sie dieses Recht. Lassen wir diese platte Formulierung so durchgehen: Hegel ist tot.

"Sie" (dein Bedürfnis, deine Begierde) "sind vielmehr das Band, welches dich mir abhängig macht, weil sie dich in eine Abhängigkeit von meinem Produkt versetzen. Weit entfernt, dass sie das Mittel wären, welches dir Macht über meine Produktion gäbe, sind sie vielmehr das Mittel, mir Macht über dich zu geben (...)."

Bis hierher ist die habgierige Warengesellschaft beschrieben. Der Tausch, als ein um zwei Schritte erweiterter Ersatz des einfachen Tauschhandels, wird von den verschiedenen Mills als eine Angelegenheit von zwei freien Willen beschrieben, die einander lächelnd gegenübertreten. In Wirklichkeit geht es um die unmenschliche Macht zweier Konsumakte. Meine Macht über das Brot, das deinen Hunger stillen wird, ist die Macht, dich dem Hungertod auszuliefern; du kannst dich dem nur entziehen, wenn du Geld hast - über das ich Macht erlange - und das du nur erhalten hast, weil du ein Hemd zu verkaufen hattest - für den wiederum ein anderer Geld haben musste... bei Strafe des Kältetodes. Hirngespinste des jungen Marx? Wer erkennt in diesen Zeilen nicht den Abschnitt im "Kapital" über den "Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis", in dem das Verhältnis zwischen Waren - mit dem harmlosen mathematischen Zeichen = markiert - zu einem Verhältnis zwischen Menschen wird, das sich schlimmer als das zwischen Wölfen erweist?

Auf dem jüngsten Philosophenkongress11 scheint man sich sehr mit Marx beschäftigt zu haben. Ein Jesuit erachtet ihn als fruchtbaren Philosophen in seinen Jugendwerken, ein anderer Professor findet ihn reifer auf seine alten Tage hin, verschiedene russophile Philosophen meinen, das passe schon zusammen. Für den Augenblick reicht uns das. Unserer Meinung nach hat keine dieser drei Gruppen Marx verstanden - den uns Stalins Schüler ihrerseits als "Dualisten" auftischen.

Flug durch die Zeit

Mit einem Satz und ohne Vorwarnung - wie er es stets zur Verwirrung der Zensoren macht - überwindet der Autor die historische Form des Marktes und geht kühn davon aus, dass die Bürger Ich und Du ihren Dialog fortsetzen. Wir sehen sehr wohl, dass es nunmehr der gesellschaftliche Mensch ist, der mit sich selbst spricht. Aber das Philosophenpack ist allhier, um die Anklage vorzubringen, wir hätten mit unserem Kollektivismus in diesem Menschen die Person getötet, ihren Aufstieg zur Freiheit und zum Wert gestoppt und den Geist an die Materie gefesselt, um aus beiden eins zu machen.

Marx hält sich nicht damit auf, diesen ewigen Einwand mit einem der ihm eigenen beißenden Sarkasmen zu zerstören. Er zeigt, zu welch vollkommener Freude eines noch nicht bekannten Lebens der Mensch gelangen wird, sobald sein in der Warenproduktion erzeugter Egoismus einmal vernichtet ist.

"Gesetzt, wir hätten als Menschen produziert" [MEW 40, S. 462]. Hier müssen wir innehalten. Der Leser mag dann den Text noch einmal ohne unsere Allgemeinplätze lesen. Heute produzieren wir nicht als Menschen, sondern als Lohnsklaven und als Händler. Wenn wir davon ausgehen, wir produzierten, nicht um bezahlt zu werden und ohne bezahlt zu werden, bedeutet das, wir nehmen an, in die kommunistische Gesellschaft versetzt zu sein.

"Jeder von uns hätte in seiner Produktion sich selbst und den anderen doppelt bejaht". Niemand hat also sich selbst und seine Menschlichkeit verneint, wie der Philister die ganze Zeit höhnt. "Ich hätte 1. in meiner Produktion meine Individualität, ihre Eigentümlichkeit vergegenständlicht und daher sowohl während der Tätigkeit eine individuelle Lebensäußerung genossen, als im Anschauen des Gegenstandes die individuelle Freude, meine Persönlichkeit als gegenständliche, sinnlich anschaubare und darum über allen Zweifel erhabene Macht zu wissen. 2. In deinem Genus oder deinem Gebrauch meines Produkts hätte ich unmittelbar den Genus, sowohl des Bewusstseins, in meiner Arbeit ein menschliches Bedürfnis befriedigt, also das menschliche Wesen vergegenständlicht und daher dem Bedürfnis eines anderen menschlichen Wesens seinen entsprechenden Gegenstand verschafft zu haben, 3. für dich der Mittler zwischen dir und der Gattung gewesen zu sein, also von dir selbst als eine Ergänzung deines eigenen Wesens und als notwendiger Teil deiner selbst gewusst und empfunden zu werden, also sowohl in deinem Denken wie in deiner Liebe mich bestätigt zu wissen, 4. in meiner individuellen Lebensäußerung unmittelbar deine Lebensäußerung geschaffen zu haben, also in meiner individuellen Tätigkeit unmittelbar mein wahres Wesen, mein menschliches, mein Gemeinwesen bestätigt und verwirklicht zu haben".

Man könnte sicherlich sagen, dass in der großartigen Abfassung dieser Textstelle das Individuum und das Ich als logisches Subjekt sowie als philosophische Kategorie weiterhin mit von der Partie sind; nichts ist daran widersprüchlich, sondern gewonnene Partie unserer materialistischen Dialektik: Den Ausschluss des Individuums aus der Geschichte und der Gesellschaft wollen wir nicht durch metaphysische Übungen "sub specie aeternitatis"12 erreichen, sondern als Resultat der geschichtlichen Entwicklung. Es scheint, als seien das Ich und das Du unsere "drammatis personae"13, aber der Epilog ist ihre Verschmelzung in unserer, den ideologischen Überbauten der vorkommunistischen Epochen unbekannten Kategorie: "Das menschliche Sein", "das gesellschaftliche Sein"; in ihnen erkennen wir - als Bestätigung der historischen Invarianz des Marx'schen Denkens - den uns bereits bekannten "gesellschaftlichen Menschen" der "Grundrisse" von 1859, der mit der Folgerung von 1844: Mein menschliches Sein, mein gesellschaftliches Sein, zusammenfällt.

Wir haben keinen Grund, uns zu wundern, wenn wir diese Sätze in den Studienschriften von Marx und nicht in den zur Veröffentlichung bestimmten finden. Marx schrieb zu einer Zeit, in der Deutschland den Übergang von der kritischen (bürgerlichen) Philosophie zur revolutionären liberalen Politik noch nicht vollzogen hatte - was zwei sich ergänzende Aspekte des Kampfes gegen die scholastische, theologische Autorität und gegen den absolutistischen politischen Despotismus sind. Wir Marxisten werden das Individuum zerstören; aber dazu ist historisch gesehen notwendig, dass die liberale Revolution es emanzipiert hat.

Marx ging von der Kritik an einem Ökonomen aus, der nachweisen wollte, dass die Bilateralität des Tausches ein "Naturgesetz" ist. In seiner kraftvollen und erhellenden Beweisführung entzieht er dem Verhältnis seine Eigenschaft des "Hin und Her", des do ut des, des "ich gebe, damit du gibst"14 und befreit damit den produktiven Akt von der Bedingung der Warenproduktion. In der Marktgesellschaft arbeitet der Produzent, um einen Käufer zu finden, wie uns der oben angeführte Text zeigt. In der sie ablösenden kommunistischen Gesellschaft wird der Produzent nicht arbeiten, um zu verkaufen und um seinen persönlichen "Vertragspartner" zu finden, sondern für einen unilateralen Zweck, der in den vier Punkten des vorigen Zitats erläutert wird: Den Lohn der Mühe des anderen, oder sein Geld, wird Niemand mehr bekommen. Der historische Dialog zwischen Ich und Du endet nicht mehr, wie es in der Geschichte immer der Fall war, mit der Unterwerfung eines der beiden, auch nicht mit ihrer Gleichgewichtigkeit und Gleichwertigkeit in einer Gesellschaft freier Produzenten, also einer Markt-Demokratie oder, wenn man lieber will, einer "Volksdemokratie", dieser hohlen kleinbürgerlichen Ideologie. Der Dialog endet nach dem Sieg des proletarischen Kommunismus mit dem Zusammenfallen der beiden traditionellen Figuren in der Wirklichkeit des gesellschaftlichen Menschen.

Dieses große Zukunftsbild vom Produzenten, der seine Befriedigung nicht in der Begierde nach dem Produkt des anderen und dessen Konsum findet, sondern allein im unilateralen Akt des Produzierens und also des theoretisch hier antizipierten Gebens, darf schlechterdings nicht auf eine Gesellschaft autonomer Produzenten bezogen werden, sondern auf eine kooperierende, durch keine territoriale bzw. kategoriale Grenze mehr getrennte Produzentengesellschaft.

Worum es sich handelt: die Form der ganz und gar gesellschaftlichen Tätigkeit, die mit dem ganz und gar gesellschaftlichen Genuss verbundenen ist, zu fassen, eine Totalität, worin der Zweck der menschlichen Tätigkeit nicht im konsumtiven Akt des Produzenten liegt, sondern im Geben seines Produkts an die Gesellschaft, in der er sich selbst erkennt.

Zum Beweis, dass es sich weder um eine Hinzufügung unsererseits noch um das erst im Verlauf dieses Jahrhunderts möglich gewordene Verständnis dieser prophetischen Worte handelt, brauchen wir nur folgende Worte des vor uns liegenden Textes zu zitieren: "Unsere Produktionen wären ebenso viele Spiegel, woraus unser Wesen sich entgegenleuchtete." [MEW 40, S. 463].

Die siegreiche Invarianz

Alle im gewaltigen Marx'schen Werk enthaltenen Schriften stehen eng miteinander im Zusammenhang. Auf Grundlage des bis hierher Ausgeführten können wir jetzt die in den "Corollarii" von Turin wiedergegebene Erklärung der Schrift über das Grundeigentum (die das klassische, anfangs von uns in Erinnerung gerufene Theorem enthält) integrieren: "Das Land an assoziierte Landarbeiter zu übergeben, würde heißen, die ganze Gesellschaft einer besonderen Klasse von Produzenten auszuliefern" [MEW 18, S. 62].

Marx sieht die Übergangsmaßnahme der Nationalisierung von Grund und Boden als einen Akt an, der "eine vollkommene Änderung in den Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital mit sich bringen und schließlich die gesamte kapitalistische Produktion beseitigen (wird), sowohl in der Industrie wie in der Landwirtschaft. Nur dann werden die Klassenunterschiede und Privilegien verschwinden, zusammen mit der ökonomischen Basis, der sie entspringen, und die Gesellschaft wird in eine Assoziation freier ‘Produzenten' verwandelt werden. Von anderer Leute Arbeit zu leben wird eine Angelegenheit der Vergangenheit sein! Dann wird es weder eine Regierung noch einen Staat geben, die im Gegensatz zur Gesellschaft selbst stehen!".

Erinnern wir uns, dass diese Schrift nach 1868, genauer 1872, entstand. Das ist Invarianz! Der Text fährt fort: "Landwirtschaft, Bergbau, Industrie, mit einem Wort alle Zweige der Produktion werden allmählich auf die nutzbringendste Art organisiert werden. Die nationale Zentralisation der Produktionsmittel wird die natürliche Basis einer Gesellschaft werden, die sich aus Assoziationen freier und gleichgestellter, nach einem gemeinsamen und rationellen Plan bewußt tätiger Produzenten zusammensetzt".

Auch wortwörtlich genommen ist diese Passage klar genug, um begreiflich zu machen, dass jede regional (Russland) oder, noch schlimmer, kommunal (China) organisierte Wirtschaft jenseits des historischen Weges liegt, der, das untere Stadium des Sozialismus durchlaufend, das Fundament legt, um zum vollständigen Kommunismus zu gelangen; und um sich vom nicht wieder gutzumachenden theoretischen Fehler der Resolution des Zentralkomitees der KP Chinas vom 23.8.1958 zu überzeugen, in der es am Schluss heißt: "Das grundsätzliche Ziel der Volkskommunen" (in denen das Lohnsystem eingeführt werden kann!) "besteht darin, den sozialistischen Aufbau zu beschleunigen, und das grundsätzliche Ziel des Sozialismus besteht darin, den Übergang zum Kommunismus aktiv vorzubereiten. Es scheint, dass der Zugang Chinas zum Kommunismus kein Ereignis der fernen Zukunft ist" (sic!). "Wir müssen die Volkskommunen nutzen, um zu erforschen, welcher Weg zum sozialistischen Übergang am praktischsten sein wird". Und ein anderer Text trägt die Überschrift: "Die Kommune - Basiseinheit der zukünftigen kommunistischen Gesellschaft".

Wenn das Vermögen einer Lehre kein leeres Gerede ist, dann ist jener Weg bereits erforscht worden und man braucht keine Raumsonden mehr! Der Weg ist nicht der, den die Chinesen gerne gingen: Kommunalismus, Sozialismus, Kommunismus; sondern im Gegenteil: nationale Konzentration, Sozialismus (international und nicht-marktwirtschaftlich!), Kommunismus.

Aber die Textstelle von Marx könnte bei etwas... konservativen Lesern noch zu einem Missverständnis führen, nämlich dass sich die beschriebene kommunistische Gesellschaft aus vielfachen Assoziationen zusammensetzen würde, so dass jede über ihr eigenes Produkt verfügt und es mit den anderen austauscht. Ein totales Missverständnis! Man würde damit einem längst überwundenen Irrtum erliegen, nämlich die Gesellschaft den Genossenschaften der Landproduzenten oder ihren Verbänden auszuliefern. Die Produzentenassoziation der zukünftigen Gesellschaft, deren Mitglieder sich im Laufe ihres Lebens verschiedenen Tätigkeiten zuwenden werden, wird eine Assoziation sein, deren einziger Zweck die Funktion, die Tätigkeit, die Freude des Produzierens ist. Nicht nur, insofern sie einem gemeinsamen rationellen Plan folgen und sich die Gesellschaft in EINE Produzentenassoziation verwandelt haben wird (wie das aus dem Zusammenhang des Textes klar hervorgeht), sondern vor allem, insofern diese arbeitstechnisch und nicht-ökonomisch definierten Vereinigungen von Produzenten ihr gesamtes Produkt der Gesellschaft und ihrem zentralen Konsumtionsplan übergeben werden.

Wir denken, bei dem Beweis angelangt zu sein, dass - im invarianten Marxismus - die kommunistische Gesellschaft kein Eigentum von Gruppen zulässt (ebenso wie sie keinen individuellen Eigentümer kennt), nicht einmal am Produkt der Arbeit oder am Objekt ihres Verbrauchs. Produzieren, leben und genießen sind in diesem System eine einzige Tätigkeit, die sich selbst genügt und sich nicht unter der fürchterlichen Peitsche der Begierde nach Konsum vollzieht. Die dialektische Synthese Arbeit-Bedürfnis wird nur auf der Ebene des gesellschaftlichen Menschen verwirklicht.

Für den bürgerlichen Philister hat die russische Geschichte ja schon gezeigt, dass das ein großzügiger, verrückter und unmöglicher Traum war. Doch wenn sich der russische Philister das Eingeständnis wird abringen müssen, dass die jüngere russische Vergangenheit mit dem marxistischen Kommunismus nichts gemein hat, wird sein westlicher Kompagnon begreifen, dass er keine Siegesgesänge anstimmen kann.

Mensch und Natur

Der Referent führte die brillante Marx'sche Textstelle an, um ökonomische und sozialgeschichtliche Fragen zu klären, wobei das so wichtige Thema der sich wandelnden Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft zur Sprache kam; ebenso das Thema der Möglichkeit einer die Gesetze der zukünftigen Geschichte festlegenden (nicht individuellen, sondern kollektiven und parteilichen - das ist der springende Punkt) Gesellschaftswissenschaft. Diese Textstelle führte uns auf das gemeinhin philosophisch genannte Terrain, was einige kritische Anmerkungen zu Beiträgen und Reden nötig machte, die einige (allerdings aus stalinistischem Holz) geschnitzte Marxisten auf dem Philosophenkongress in Venedig gehalten hatten.

Wir behaupten: es ist möglich, die Gesetze der zukünftigen Gesellschaft zu untersuchen, insofern wir der Wissenschaft der menschlichen Gesellschaft, so sehr diese auch erst am Anfang stehen mag, die gleiche Fähigkeit zugestehen wie der Naturwissenschaft, die bereits zu Beginn der bürgerlichen Epoche vor vier Jahrhunderten in voller Blüte stand. Womit der Marxist die Ehrfurcht vor einer unüberschreitbaren Grenze zwischen den Erkenntnisformen der Natur- und der Gesellschaftserscheinungen überwunden hat. Unser Anspruch, die Gesellschaft der Zukunft zu beschreiben, ist der gleiche wie der in der Astronomie, etwa eine Mond- oder Sonnenfinsternis - ein sehr altes Wissen - wie auch Milliardenjahre dauernde Lebensphasen eines Sternes oder eines Sternennebels vorauszusehen.

Es gibt keinen Grund, eine Barriere zwischen Geschichts- und Naturphilosophie zu errichten. Präziser lässt sich dies ausdrücken, wenn wir sagen, dass sich Natur- und Geschichtswissenschaft, wie verschieden ihre Entwicklungsstufe auch ist, der gleichen Untersuchungsmethode bedienen, einzig mit dem Ziel, die Gleichförmigkeit vergangener und gegenwärtiger Ereignisse festzustellen und daraus die Voraussage zukünftiger Ereignisse zu folgern.

Dies wäre nicht haltbar, wenn man die Beziehungslosigkeit der beiden Welten zueinander zuließe: Der der physischen Natur bzw. Materie und der des Geistes. Auf Grund dieser wesentlichen Unterscheidungen haben sich alle Marxisten, die sich mit Philosophie und mit der Kritik der konventionellen Philosophien der bürgerlichen Welt befasst haben, zu Monisten, weil Materialisten, erklärt. Eine monistische Philosophie könnte auch eine sein, die sich allein auf die Welt des Geistes gründet, worin die physische Welt als dessen Emanation15 oder, weniger abstrus, als dessen Schöpfung anzusehen wäre. Dagegen nennen sich "dualistisch" jene Systeme, die die Gegenüberstellung und Unterscheidung der beiden Welten aufrechterhalten. Marx und Engels bezeichneten sich gegenüber Hegel und dem deutschen Idealismus als Monisten. Lenin und Plechanow verfochten diese Position gegenüber den neueren bürgerlichen Philosophen und den Verdrehern (auch auf dem Gebiet der Philosophie) des klassischen Marxismus.

Doch die sogenannten Marxisten auf dem Kongress in Venedig geben an, keine "Monisten" zu sein und schreiben diese Eigenschaft dem "vulgären und bürgerlichen Materialismus" zu. Der Materialismus von Marx wird dialektisch (ein Wort, das Stalin so gefiel) genannt, und gemäß diesen Stümpern kommt die Dialektik bloß deshalb ins Spiel, weil der Welt des Menschen eine autonome und gegenüber der Welt der Natur entgegengesetzte Position zugestanden werden müsse.

"Mensch und Natur" war eines der Themen des Kongresses; weshalb viel von Marxismus die Rede war: Aber von welchem Marxismus? Laut einem Bericht der "Unità" vom September hat sich der Kongress gegen die Neigung ausgesprochen, die beiden Begriffe ineinander aufzulösen: "Die Natur in den Menschen (Idealismus) oder den Menschen in der Natur (Mechanismus16 bzw. vulgärer Materialismus)". Gemäß der "neuesten" allgemein anerkannten Auffassung stünden beide Begriffe in Wechselbeziehung zueinander, und wohl nur der Marxismus (sic!) sei der stärkste, wenn nicht der einzige Ausdruck dessen.

Die bloße Tatsache, dass sich eine marxistisch nennende Zeitung bei einem Symposium von Berufsphilosophen anbiedert, verdeutlicht zur Genüge, dass man einer furchtbaren Prinzipienverwirrung gegenübersteht.

Man nimmt zu Unrecht die Dialektik herein, weil man die Aussage einschmuggeln will, dass der Bereich des menschlichen Handelns dem der Naturerscheinungen äußerlich gegenüberstehe; das Ganze ist nur eine Hilfskonstruktion, um nicht eingestehen zu müssen, dass menschliche Prozesse durch Naturursachen determiniert sind, und die daher nicht-materielle Faktoren ins Spiel bringt, die die Welt verändern würden und deren Träger der denkende Mensch sei.

Man könnte auch gleich sagen, die Natur bildet sich nach Modellen, die zuerst im Denken, d.h. im Geiste erscheinen, und darin auch entstehen. Die Dialektik kommt hingegen in einer ganz anderen Beziehung ins Spiel: Nicht der zwischen Natur und Mensch, sondern der zwischen menschlicher Gesellschaft und Individuum.

Sämtliche Ideologien, die - ob ausgesprochen oder nicht - den Menschen gegenüber der physischen Welt in den Vordergrund stellen, ihm ein eigenes "Reich" geben wollen, das ihn von der Determiniertheit durch die materielle Welt befreit, denken nicht an den Gattungsmenschen, sondern an den Menschen als Person. Alle Idealismen sind Individualismen. Das Forschungsfeld aller Croces17, für die der alleinige Ursprung von Wissenschaft im Akt des Denkens liegt, ist das Denken und das Gehirn, und zwar des Einzelnen.

Die verschiedenen Materialismen

Worum geht es Marx, wenn er vom vulgären Materialismus im Gegensatz zum historischen Materialismus spricht? Ungefähr um dasselbe wie bei der Gegenüberstellung der vulgären Ökonomie und der ihr vorangehenden klassischen Ökonomie, wenngleich beide bürgerlich sind. Der vulgäre Materialismus ist nicht der vor, sondern der nach der französischen Revolution. Die "Enzyklopädie" weist einen philosophischen Materialismus auf, den Marx geradezu klassisch nennt und den er für fähig hält, nicht nur jeglichen Fideismus in der Natur zu zerstören, sondern auch den Fideismus und den Spiritualismus hinsichtlich der menschlichen Gesellschaft. Aber der Sieg der kapitalistischen Gesellschaft stoppt die weitere theoretische Entwicklung und bringt die ökonomische Wissenschaft auf die vulgäre Ökonomie herunter, die die Mehrwert- und Mehrarbeitsauspressung verschleiert; ebenso wie er den klassischen Materialismus von Diderot und D'Alembert auf eine vulgäre Philosophie herunterbringt, die die bürgerliche Herrschaft nicht antastet und, nachdem sie die kulturelle und rechtliche Unterdrückung verurteilt hat, die ökonomische Unterdrückung rechtfertigt. Der vulgäre Materialismus ist gemäß Marx jener, der sich dann zum von Spencer, Comte, Ardigò und verschiedenen nationalen Versionen zur Wissenschaft gemachten und heute zu Recht verhöhnten Positivismus entwickelte, der vor Jahrzehnten die anglo-romanischen Revisionisten anlockte, während sich die Deutschen und die Russen vom Idealismus alten Stils angezogen fühlten.

Versuchen wir, den Unterschied zwischen vulgärem und marxistischem Materialismus in groben Zügen aufzuzeigen. Für beide sind Grundlage und Unterbau die materiellen Tatsachen, aus deren Dynamik Rückschlüsse auf die Wissenschaft der menschlichen Handlungen und Verhaltensweisen, auf die Ansichten und Ideologien gezogen werden können. Die Kurzsichtigkeit des vulgären Materialismus besteht darin, diese Beziehung in den engen Rahmen des menschlichen Individuums zu pressen.

Der historische Materialismus - ein Begriff, den Marx dem des ökonomischen Determinismus gleichsetzt - löst die Frage auf dem Terrain der gesamten Gesellschaft und ihrer ganzen Geschichte; die Untersuchung dreht sich nicht mehr um die Verhaltens- und Denkweise des Individuums, sondern um die Haltung und Ideologie der gesellschaftlichen Klassen und der sukzessiven historischen Gesellschaftsformen.

Der Determinismus der Positivisten beschränkt sich darauf, eine Beziehung zwischen Physiologie und Psychologie herzustellen; 18 der der marxistischen Materialisten geht von der gesellschaftlichen Ökonomie aus, um das Recht und die Religion, die Moral und sogar die Philosophie der aufeinanderfolgenden Epochen zu erklären.

Die erste Anschauung ist ungenügend und steril; darüber hinaus begibt sie sich auf ein obskures und endloses Gleis. Zwar berücksichtigt sie ebenso wie wir die Wirkung der dem Menschen äußerlichen physischen Umwelt, die jedoch in tausend zusammenhangslose Eigentümlichkeiten zerfällt, während uns die allgemeinen Umstände und Beziehungen interessieren, z.B. die zwischen einer geographischen Lage und der Adoption und dem Verhalten der dortigen Bevölkerung - eine Sache, die, alle Individuen einbegreifend, als konstanter Durchschnitt feststellbar ist.

Die Wissenschaft ist noch sehr weit davon entfernt, auf Grundlage der physischen Gegebenheiten der Umwelt, in der der menschliche Organismus lebt, und des... Menüs, das auf seinen Tisch kommt, die Genesis der Denkvorgänge feststellen zu können, und sei es nur deshalb, weil das, was das vegetative und das neuro-psychische System miteinander verbindet, noch nicht entdeckt worden ist. Wir sagen jedoch, dass unser Materialismus es ermöglicht, die Kausalbeziehungen zwischen den materiellen Lebensbedingungen einer menschlichen Gemeinschaft - als Verhältnis zwischen Mensch und Natur bzw. als Verhältnis zwischen Menschen (zwischen sozialen Klassen) - und den Eigentümlichkeiten ihrer politischen, rechtlichen etc. Organisation streng wissenschaftlich (also durch weitgehende Reduktion von Fehlern, die die Folgerungen trüben könnten) fassen zu können.

Der Unterschied zwischen den beiden Materialismen besteht daher nicht in der vermeintlichen Tatsache, Marx habe das Gebiet des Monismus aufgegeben, um zwischen Natur und Mensch eine hohle "Würdenträger"-Parität, eine Art Neo-Dualismus, zu errichten; wesentliches Kriterium dieses Unterschieds ist vielmehr, dass wir uns nicht an den ungreifbaren Bestimmungen abarbeiten, die im individuellen Organismus und Einzelgehirn am Werke sind, dass wir nicht das Phantasiegebilde der "Persönlichkeit" zu realisieren suchen, sondern dass wir die Beziehung auf die materiellen Bedingungen einer sozialen Gemeinschaft sowie auf die gesamte Aufeinanderfolge ihrer historischen Erscheinungen und Entwicklungen gründen.

Auf dieser Basis und aufgrund der Fülle der historischen Empirie halten wir den Einfluss einer Persönlichkeit auf die Wechselfälle des gesellschaftlichen Lebens aus gutem Grund für null und nichtig; ebenso sind Geschichte und Soziologie als eines der Beschreibungsfelder zu sehen, das von der Kenntnis der Natur abzweigt, ohne dass diese Unterscheidung bzw. Trennung anderen gegenüber ein besonderes Gewicht hätte: Deswegen schließt in der marxistischen Lehre die Wissenschaft der physischen Natur ganz richtig die der menschlichen Gesellschaft ein, noch genauer: in der "Architektur" muss Ersteres notwendig Letzterem vorangehen.

Warum dialektischer Materialismus?

Fest steht, dass der dialektische Materialismus von Stalin in seinem Buch "Historischer und dialektischer Materialismus" mehr schlecht als recht dargestellt wurde; er hatte dabei nur im Auge, durch Zugeständnisse an einen irrwitzigen geschichtlichen Voluntarismus den Anspruch zu rechtfertigen, dass sich der Sozialismus im isolierten und rückständigen Russland künstlich aufbauen ließe. Wir können nun klären, inwiefern dialektischer Materialismus und historischer Materialismus völlig äquivalente Ausdrücke sind. Dialektik besteht jedenfalls nicht in der Feststellung: die Ökonomie macht die Politik, aber dann macht die Politik (vulgärerweise auf eine staatliche Praxis reduziert) ihrerseits auch die Ökonomie. Das ist eine Umkehrung von Thesen und nicht die Synthese eines fruchtbaren Verhältnisses von These und Antithese. Marx sagte, die Menschen machen ihre eigene Geschichte - Lieblingseinwand einiger Nachplapperer. Natürlich machen sie sie: mit den Händen, mit den Füßen, auch mit dem Mund, und mit den Waffen; sie machen sie materiell. Was wir leugnen ist, dass sie ihre Geschichte mit dem Kopf machen, d.h. dass sie soweit sind, sie nach einem vollständig erdachten Modell oder Projekt zu "konstruieren" (ein der Gewinnsucht bürgerlicher Unternehmer entsprungener Begriff). Die Menschen machen die Geschichte, ja, jedoch weder so, wie sie es glaubten und dachten noch so, wie sie es vorhersahen und wünschten. Das ist der Punkt.

Die Dialektik resultiert aus der Frage: Betrifft diese Ohnmacht, diese Negation des menschlichen freien Willens nur das Individuum oder auch die menschliche Gesellschaft?

Die marxistische Antwort darauf ist klassisch. Was das Vorhersagen und das Lenken angeht, ist das Subjekt, die Person, völlig ohnmächtig - in Gesellschaften, deren Struktur vom Individualismus geprägt ist, muss man schon von Koma sprechen. Je höher der Rang des Individuum in diesen Gesellschaften ist - vor allem in solchen, deren Ideologie ein schlaffer Liberalismus ist -, desto mehr ist es eine von deterministischen Fäden bewegte Marionette.

Solange sie in Klassen gespalten ist, kann die Gesellschaft, selbst in ihrer Gesamtheit, weder eine Vision von noch eine Orientierung auf ihre eigene Zukunft besitzen. Im historischen Verlauf rüsten sich die aufeinandertreffenden Klasseninteressen mit widerstreitenden Voraussagen (Prophezeiungen) und Ideologien aus, sind aber nicht imstande, die Zukunft vorherzusehen und vorzubereiten.

Nur eine Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft, deren Interesse auf die Abschaffung der in Klassen gespaltenen Gesellschaft gerichtet ist, kann die Fähigkeit anstreben, für dieses Ziel zu kämpfen und in ihrem Innern eine Kenntnis und theoretische Vorstellung davon haben; und diese Klasse (der Marxismus entdeckte dies) ist das moderne Proletariat.

Aber solange diese Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft existiert, kann es nicht in jedem ihrer Mitglieder - auch nicht in ihrer Summe - die bewusste Vision von ihrer Zukunft geben, und es ist bloße Dummheit, dieses Bewusstsein und diesen Willen der Mehrheit der Klasse zuzusprechen; diese Vorstellung ist eins der unzähligen bürgerlichen "Derivate", die das Denken der Proletarier vernebeln, und die erst kommende Generationen ausradieren werden.

Durch Reflexion seiner persönlichen Perspektiven und Interessen kann sich der Einzelne daher nicht zur Vision der kommunistischen Gesellschaft erheben; das wäre vulgärer Materialismus. Und ebenso wenig kann er zur Vision der Klasse und der Zukunft der menschlichen Gesellschaft gelangen, es sei denn in Funktion des Zusammenwirkens der Klassenkräfte.

Der Widerspruch ist folgender: Der Einzelne kann nicht und die Gesamtheit auch nicht. Dies würde ewige Ohnmacht bedeuten, nicht nur hinsichtlich darauf, die Zukunft zu wollen, sondern auch, sie vorherzusehen.

Die dialektische Lösung dieser doppelten These: dass das Proletariat kann und nicht kann, es die erste Klasse ist, die zur klassenlosen Gesellschaft tendiert, aber nicht den Weitblick hat, der der Menschengattung nach dem Absterben der Klassen eigen sein wird - diese Lösung findet sich in dem im "Manifest der kommunistischen Partei" enthaltenen doppelten Schritt: Erstes Moment: Partei, zweites Moment: Diktatur. Das Proletariat, eine amorphe Masse, organisiert sich als politische Partei und erhebt sich so zur Klasse. Nur wenn es diese erste Eroberung zum Hebel macht, organisiert es sich als herrschende Klasse. Es bahnt die Abschaffung der Klassen an: durch die Diktatur der Klasse. Dialektik!

Das Vermögen, die kommunistische Zukunft im Voraus zu beschreiben und ihren Durchbruch zu beschleunigen (nach Maßgabe der Dialektik weder im Einzelnen noch im Allgemeinen zu suchen), findet sich in dieser Formulierung, worin das geschichtliche Potenzial synthetisiert ist: die politische Partei, Akteur und Träger der Diktatur.

Determinierte Passivität des Individuums

Die von uns vorgelegte These weist dem vulgären bzw. bürgerlichen und dem kommunistischen Materialismus ihre jeweiligen Plätze zu. Ersterer dreht sich um die Person - auch schon in seinem klassischen Ursprung. Wenn der Franzose Holbach19 sagt: "nihil est in intellectu quod prius non fuerit in sensu", d.h.: es gibt nichts im Denken, was nicht zuerst in den Sinnen gewesen wäre, stellt er eine direkte Beziehung zwischen der physischen Einwirkung der Umwelt auf das Individuum und dessen geistigen Äußerungen, dessen Ansichten, her. Auch für Marx stellte dies einen Schritt nach vorn dar, weil es die Überwindung des Fideismus erlaubte, der im Geist jedes Einzelnen eine von göttlicher Herkunft "angeborene Idee" (die Seele) erblickte; und ebenfalls die Überwindung des damals zeitgenössischen angelsächsischen Idealismus, der, obwohl er ohne Gott auskam, ein in jedem Kopf vorausgesetztes ideelles Prinzip geltend macht, das sich aus nicht-materiellen Empfindungen herleitet.

Aber die Position des bürgerlichen Materialismus liegt weit hinter der unsrigen. Bei Marx wird die Beziehung hergestellt zwischen den durchschnittlichen materiellen Bedingungen, unter denen ein gegebenes soziales Agglomerat lebt, und dessen entsprechenden Äußerungen auf den Gebieten des Denkens, als da sind Religion, Ideologie, Kunst, Kultur, Politik. Die Passivität des "Geistes" gegenüber der Materie im Individuum steht für uns fest; die Bewegungen des Denkens jedoch, die die Wissenschaft des kapitalistischen Zeitalters vergeblich zu verstehen suchte, bleiben für diese unergründlich, zumal sie sich heute mitten in der Verfallsphase befindet. Das herrschende Denken besitzt nicht den dialektischen Schlüssel (erst recht nicht auf philosophischen Kongressen), um seine eigenen Widersprüche zu entziffern. Für den Fideisten hat Gott im Kopf des Menschen (ebenso, bis in den letzten Winkel, in der ihn umgebenden physischen Natur) alles aufs Beste eingerichtet; doch ist er auch eine Person, die die Gabe der Willensfreiheit in Meinungsbildung und Verhaltensweise empfing, sowie eine Verantwortung (eine unumgängliche Ergänzung des lästigen Fetisches der Persönlichkeit), die folglich dem System von "Strafe und Belohnung" unterliegt.

In der Anfangszeit entthronte der atheistische Bourgeois den freien Willen und spannte den Kopf vor den Bauch; da aber, kurz gesagt, seine neue "Produktionsweise" leerer Bäuche bedurfte, erlaubte er den dazugehörenden Köpfen zu denken und eine Meinung zu haben, gründete das demokratische System mit allgemeinen Wahlen und rechtlicher Verantwortung und setzte schließlich den Staat der herrschenden Klasse als das sozial-ethisch Absolute. Die moderne Kultur, in der sich die Deserteure der Revolution zusammenfinden, schwankt zwischen diesen beiden Pappfiguren hin und her: dem eigenverantwortlichen Individuum und dem blind-ethischen Staat.

Wir halten an dem Ergebnis der unbewussten Passivität des Einzelnen fest, aber unser Determinismus macht keinerlei Voraussage und Verifizierung auf individueller Ebene geltend. Beides ist auf gesellschaftlicher Ebene aufzuzeigen, mittels der historischen (und ökonomischen) Analyse; wir schließen aber nicht aus, dass der allgemeinen Durchschnittsregel in davon abweichenden besonderen Fällen widersprochen wird, ohne dass dies unsere Theorie abschwächt. Den Beweis des Determinismus suchen wir weder in den Meinungen, die in den einzelnen Köpfen herumspuken, noch suchen wir seinen Bruch im Bewusstsein, im Willen und der Initiative zum Handeln - kleiner oder großer - Personen.

Dennoch findet der Bruch statt, der generell und historisch gesehen stets in den Tatsachen war, bevor das Bewusstsein eine theoretische Kenntnis davon hatte. Die Determination der bürgerlichen Epoche (aufgrund derer die Opfer des Systems im Allgemeinen gemäß dessen Ideologie denken) impliziert den kommenden Bruch, aber zum ersten Mal in der Geschichte nicht durch eine dem göttlichen Schöpfungsakt oder der Immanenz der Idee innewohnenden Wirkung, sondern infolge des Auftretens eines wissenden, wollenden und nach seiner eigenen Initiative handelnden Subjekts, das nicht eine Person, sondern die revolutionäre Partei ist - darin besteht die "Umkehrung der Praxis"20. Diese revolutionäre Partei bringt die Organisierung der modernen proletarischen Klasse zum Ausdruck, jedoch verkörpert sie die Klasse eher in ihrem Programm und dessen zukünftiger Verwirklichung als im bürgerlichen Sinne einer demokratischen Vertretung; sie repräsentiert die kommunistische Gesellschaft von morgen, und darin liegt die Bedeutung des Sprungs (Marx/Engels) vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit, den nicht der Mensch gegenüber der Gesellschaft, sondern die Menschengattung gegenüber der Natur vollzieht.

Die machtvolle Orthodoxie

Negation des Individuums - Behauptung des aus seiner aufgewühlten Vorgeschichte herausgetretenen Gattungsmenschen, des gesellschaftlichen Menschen. Es geht darum, beharrlich und unermüdlich zu zeigen, dass dieses die ursprüngliche These der marxistischen Schule ist, und dass sie das Feld von allen zählebigen und schäbigen Immediatismen reinigt; bei allen immediatistischen Theorien ist die Paralysierung der dem Marxismus eigenen - nicht sekundären und kleinkrämerischen, sondern - universellen Dialektik zu diagnostizieren.

Was die Negation des Individuums betrifft, greifen wir auf die klassische Passage von Marx im Vorwort zur "Kritik der politischen Ökonomie" zurück. Wenn wir, anstelle des Individuums, die Gesamtheit der Menschen den Schauplatz betreten lassen, nehmen wir nicht nur eine quantitative Integration vor, die des Einzelnen in die Vielzahl, nicht nur eine räumliche, sondern auch eine zeitliche Integration. Das Leben der Gattung kennt nicht die mit der endlichen Person vergleichbaren zeitlichen Grenzen: Im Marxismus erhält die Produktion nicht nur das einzelne Menschentier am Leben, sondern ist auch ein Glied in der Kette seiner Reproduktion. Der oben zitierte Philosoph und Baron, der als Person seiner Determiniertheit durch die feudale Klasse entkam, hätte die Vererbung nicht von der Hand gewiesen: Jedes Gehirn "zapft" die Denkbewegungen nicht nur aus den Empfindungen seines Lebens, sondern auch aus dem seiner Vorfahren "an". Das ist völlig wissenschaftlich; nicht minder als die durchaus materialistische Feststellung, dass jeder Einzelne mit dem Gehirn der Anderen, auch dem seiner Zeitgenossen denkt. Es wäre brillant zu sagen, das Gehirn sei eine Drüse, dessen Sekret das Denken ist; aber wir sind keine vulgären Materialisten und warten nicht auf denjenigen, der das Denkhormon entdecken wird; für uns, wirkliche Materialisten, gibt es ein kollektives Hirn, und der gesellschaftliche Mensch wird eine den früheren Generationen unbekannte Entwicklung des gesellschaftlichen Hirns erfahren. Dass mit dem Kopf der anderen gedacht wird, ist jedenfalls eine alte wie zeitgenössische positive Tatsache.

"In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen" [MEW 13, S. 8]. Der Text kennzeichnet im Weiteren diese die ökonomische Struktur der Gesellschaft bildenden Produktionsverhältnisse als Basis.

Es ist diese reale Basis, "worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen". Wie in unserer getreuen Rekonstruktion ist die Person überhaupt nicht auf der Bildfläche erschienen. Die sozial-ökonomische Stellung des Individuums bestimmt nicht seine Ideologie - das ist so oft wie falsch behauptet worden. Marx' Formel lautet: "Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt" [MEW 13, S. 8-9]. Es folgt die bekannte Darstellung des Widerspruchs zwischen den Produktivkräften und Produktionsverhältnissen oder Eigentumsverhältnissen - oder, anders gesagt, die Revolutionstheorie (aller Revolutionen). Nachdem das Bewusstsein der Person sowie das jeder gegebenen Gesellschaft außer Gefecht gesetzt wurde, schließt die Kritik an dieser Stelle lapidar selbst ‘das Bewusstsein, das die Revolution von sich selbst hat', mit ein. Der Text sagt: "Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebenso wenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewusstsein beurteilen" (und dies, fügen wir hinzu, gilt um so mehr für Epochen des Konformismus).

Nachdem er die klassische Serie der historischen Produktionsweisen aufgelistet hat, stellt Marx fest, dass mit der bürgerlichen Form "daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab(schließt)", insofern die Produktivkräfte sich soweit entwickelt haben, dass sie die Lösung des Antagonismus zwischen Produktionsverhältnissen und Produktivkräften ermöglichen, und damit den Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft; ein Stück weiter präzisiert er, dass diese bürgerlichen Verhältnisse die letzten mit antagonistischem Charakter sind, dies "nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus" [MEW 13, S. 9].

Unsere Reduktion des individuellen Faktors auf Null in der Geschichte, in den Revolutionen und in der kommunistischen Revolution, ist also streng klassisch. Es ist die Beseitigung des Individuums als Subjekt der revolutionären Aktion und sogar als Subjekt des sozialen Antagonismus (Klassenkampf).

Grabgesang auf den Immediatismus

Die demokratische Form des Opportunismus ist die - in ihrer Niedertracht - klassische der II. Internationale (die von Lenin begraben worden war und von Chruschtschow exhumiert wurde); die Verwirklichung des Sozialismus ist hiernach durch das parlamentarische Majoritätsprinzip möglich. Diese grobschlächtige Argumentation ist eine erbärmliche Parodie der polemischen Formel des "Manifests": "Die proletarische Bewegung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl" [MEW 4, S. 472]. In dem genannten Fall wäre die proletarische Revolution die erste, die... keine Revolution ist und den Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den Eigentumsformen, also den sozialen Antagonismus der ihr vorhergehenden Form des kapitalistischen Zeitalters, unblutig löst! Die marxistische Negation einer solchen Möglichkeit drückt sich in der Grundthese des Determinismus aus: Die herrschende Ideologie jeder Epoche spiegelt deren ökonomisch-produktive Basis wider, heute die des kapitalistischen Eigentums. Der Bruch im Überbau wird die Folge des Bruchs an der Basis sein; die Arbeiter als unterdrückte Klasse werden sich für die gewaltsame Revolution massenhaft in Bewegung setzen, doch erst danach werden sie sich massenhaft des neuen Überbaus der kommunistischen Theorie bemächtigen. Selbst wenn es stimmen würde, dass die Mehrheit der Wähler aus Proletariern besteht, so würde die präjudizielle Abfrage ihrer Meinungen bedeuten, die Revolution zu verunmöglichen, den Kapitalismus zu verewigen.

Dies ist der Dreh- und Angelpunkt des totalen Opportunismus, wie der, der zu Anfang des Jahrhunderts die Reformisten, die zu Aas gewordenen Legalisten, kennzeichnete, und heute die von Stalin gezeugten und von Chruschtschow und ähnlichen Glucken ausgebrüteten Marxisten-Leninisten.

Aber wir hatten gesagt, dass sich auch die immediatistischen Positionen auf eine ähnliche Leugnung der Grundthese des Determinismus, des ersten Prinzips des Marxismus, zurückführen lassen. Sind sie dem Opportunismus zuzuordnen? Ohne Zweifel, was das Wesen, vielleicht weniger, was die Form angeht, d.h. das falsche ‘Bewusstsein, das sie von sich selbst haben'. Eine Art Syphilis dritten Grades. Sie ist nicht tödlich, jedoch erblich: anders herum wäre es uns lieber.

Die anarchistische Position ist hoffnungslos individualistisch. Auf Grund des Bewusstseins, dass die Gesellschaft "ungerecht" ist, glaubt der edle und manchmal heldenhafte Rebell, außerhalb ihrer zu stehen: zuerst der Kopf, dann erst der Körper, also das genaue Gegenteil des Determinismus. Was die Anderen betrifft, will er von ihrer Gewaltbereitschaft nichts wissen: Das würde ja heißen, sich die Position von Marx und Engels zu eigen zu machen: Die Revolution ist eine autoritäre Sache par excellence. Jeder muss sich demnach selbst befreien, angefangen beim Individuum und beim Überbau. Das ist die Umkehrung des Marxismus (nichts anderes liegt uns am Herzen: Jeder soll seine Meinung haben und den Marxismus leugnen... solange der wahre Marxismus nicht die Macht hat).

Die arbeitertümlerische (operaistische) Position, die den rechten Labourismus ebenso wie den Linkssyndikalismus miteinbegreift, fällt unter die gleiche Analyse. Nicht eine politische Partei soll den revolutionären Kampf führen, so sagen sie, sondern die wirtschaftlichen Organisationen, in denen sich alle Arbeiter und nur Arbeiter zusammenfinden. Aber solche Arbeiterassoziationen (noch dazu im engen Kreis der Berufszweige) schaffen nicht die Tatsache aus der Welt, dass der Arbeiter im bürgerlichen Produktionsverhältnis als Lohnabhängiger lebt und der bürgerlichen Ideologie erliegen muss. Die vom kapitalistischen Verhältnis niedergedrückten Arbeiter zu vereinigen und zu glauben, dadurch die Bedingungen der sozialistischen Gesellschaft hergestellt zu haben - darin liegt der ungeheure Irrtum. An diese Proletarierorganismen, an ihre interne Demokratie, die Forderung zu stellen, Lehre und Programm auszuarbeiten und die Aktion anzuführen - genau darin liegt die immediatistische Illusion. Solch ein demokratischer Mechanismus wird sich nie aus der unmittelbaren Umklammerung der bürgerlichen Produktionsstruktur (und somit der sich daraus ableitenden Ideologie) lösen können, die zuerst zerstört und dann negiert werden muss; auf einem solchen Weg aber würde sie niemals negiert - weil niemals zerstört.

Den Immediatismus (Ursprung aller falschen Linksradikalismen, und allen bisherigen Gruppen außer der "italienisch" genannten Linken anzukreiden) negieren, heißt gemäß dem unverfälschten Marxismus auch zu sehen, dass ein nicht zur unterdrückten Klasse zählendes Individuum sehr wohl zur revolutionären Partei überlaufen kann, wie umgekehrt ein Mitglied der unterdrückten Klasse der herrschenden Klasse angehören kann. Dass die Revolution mittelbar, und nicht unmittelbar, Zulauf von Individuen erhält, die an ihr kein spontanes Interesse haben, ist etwas, was dem Immediatismus unverständlich bleiben muss.

Die soziale Geschichte vor Augen, sagt das "Manifest", und zwar bei der Beschreibung der revolutionären Blütezeit, dass "in Zeiten endlich, wo der Klassenkampf sich der Entscheidung nähert, (...) ein kleiner Teil der herrschenden Klasse sich von ihr lossagt und sich der revolutionären Klasse anschließt, der Klasse, welche die Zukunft in ihren Händen trägt" [MEW 4, S. 471]. Im Weiteren zeigt es, dass sich bürgerliche Ideologen auf die Seite des Proletariats und der Revolution schlagen, wie früher ein Teil des aufklärerischen, philosophischen und manchmal sansculottischen Adels ins Lager der Bourgeoisie wechselte.

An diesem Punkt verdoppelt und verdreifacht der Immediatist die Doppelzüngigkeit und Demagogie: Die opportunistische Gefahr lauere nicht in der immediatistischen Blindheit, sondern eben in der Akzeptanz von Nicht-Arbeitern als Ideologen und Führer! Wo soll man denn dann ein Allheilmittel finden? Unsere Antwort kommt ohne Zögern: In der politischen Partei, sobald sie die opportunistischen und immediatistischen Krankheiten überwunden und sich das entscheidende Kriterium durchgesetzt hat: dass die Sache der Revolution Priorität hat - sogar gegen die Meinung der Mehrheit.

Vor kurzem zitierten wir den am Ende seines bescheidenen und selbstlosen Lebens stehenden Engels: "In unserer Partei können wir zwar Individuen aus jeder Gesellschaftsklasse, aber durchaus keine kapitalistischen, keine mittelbürgerlichen oder mittelbäuerlichen Interessengruppen gebrauchen" [MEW 22, S. 495]. Reduziert die Partei, Trägerin der Revolution, auf einen Verbund von Gewerkschaften und Betriebsräten, preist sie noch und nöcher als strenge Arbeiterpartei, in Wirklichkeit aber werdet ihr sie zur Sklavin kleinbürgerlicher und bürgerlicher Einflüsse gemacht haben. Historische Belege dafür sind zahllos, beginnend mit England. Wir werden jetzt nicht wieder die entschiedene Position Lenins in dieser Frage darlegen, denn wir haben sie in unseren Studien über Russland mit Hilfe theoretischer Werke wie "Was tun?" und der historisch revolutionären Praxis der Bolschewiki veranschaulicht, worin der lächerliche "Ökonomismus" ebenso wie jedes "Betrieblertum" verurteilt wird.

Den direkten revolutionären Weg geht spontan allein die proletarische Klasse, die sich vereinigen kann. Doch eine unmittelbare Collage, ein Aneinanderhaften "an sich" genügt nicht. Es gibt da noch (und das sind mittelbare dialektische und dynamische, unerlässliche und verstärkende Termini) die revolutionäre Theorie des historischen Determinismus, das Programm der kommunistischen Gesellschaft, die Organisierung als Partei, worin sich das Subjekt und der Motor, der Wille und die Kraft der integralen Revolution erst verwirklichen.

Freiheit und Wert

Eines der Themen des philosophierenden Kongresses bewegte die Gemüter der Stalinisten, die nicht imstande waren zu sehen, dass das Thema "Mensch und Natur" mit bürgerlicher Intention behandelt wird und folglich dem abgedroschenen Binom gleichkommt: Ich und das Universum, denn es führt dazu, daraus zwei autonome Sphären zu konstruieren und, ärger noch, das Universum zu einer abgeleiteten Funktion des Ich zu erklären. Es sind sicher nicht jene opportunistischen oder immediatistischen Ex-Marxisten, die dem den richtigen Ausdruck: Natur und Gattung entgegenhalten können; was kein Dualismus ist, sondern ein Monismus, der die Gattungswissenschaft als einen Sektor der Natur begreift, und für beides ein- und dieselbe wissenschaftliche Methodologie vorsieht, oder ein- und dieselbe Philosophie (solange wir die Abschaffung dieses Substantivs und dieses Berufsstandes nicht erlebt haben). Nur, solange man philosophiert, wird auch über die Erhabenheit und Würde der Person parliert. Wenn wir dagegen einen Augenblick lang diese Sprache benutzen wollten, so würden wir erklären, dass es mehr Schönheit, Harmonie und Würde in der außermenschlichen Natur gibt als die Geschichte der menschlichen Natur bisher geboten hat.

Kommen wir auf das zweite, ebenfalls binomische Thema des Kongresses: "Freiheit und Wert". Auch hier haben die Ex-Marxisten das kleinbürgerliche Ideologie-Feld abgegrast. Es handele sich um eine ewige, quälende Suche, die die Menschheit leider auf sich zu nehmen habe, und alle revolutionären Schlachten hätten nur einen Sinn gehabt, nämlich immer einen Schritt weiter in Richtung absoluter Freiheit zu gehen und die wahren Werte des Lebens zu entdecken. Die kühnsten unter den Philosophen haben eingeräumt, dass dieser Weg noch nicht zu Ende ist, weil der Mensch - natürlich ist es immer die Person, an die gedacht wird -, auch wenn nicht mehr Sklave oder Leibeigener, doch nicht frei ist. Dies nicht etwa, weil er ein Waren erzeugender Lohnabhängiger ist, sondern vielmehr, weil noch nicht überall Meinungs- und Pressefreiheit herrsche, weil es immer noch totalitäre Mächte und Gewalt in den Staaten- und Klassenkriegen gebe. Man will also irgendwie und irgendwann die "Ausbeutung" und den Krieg abschaffen, denn sonst könnte ja von Freiheit und Werten gar keine Rede sein. Diesen uralten Pazifismus und diese "Abwarterei" hielten die Stalinisten für einen Berührungspunkt mit dem "fundamentalen marxistischen Anspruch" - dem des Humanismus! Noch ein langweiliger Allgemeinplatz, der Einzug ins umfangreiche Repertoire der Philister hält.

Man muss unmissverständlich klarmachen, dass der revolutionäre Marxismus mit der ziemlich nebulösen Theorie des Humanismus nichts zu tun hat; historisch wurde er unterschiedlich definiert - jede Version ist jedoch meilenweit von uns entfernt. Als Humanisten bezeichneten sich die frühen Bourgeois, die auf den Gebieten der Kunst und Philosophie auf die theologische Herrschaft reagierten, indem sie die realen und nicht-mystischen Werte des klassischen heidnischen Lebens wiederentdeckten. Im weitesten Sinn waren es der bürgerlichen Revolution nützliche Werte, mit der proletarischen Revolution indes, die mit der atheistischen wie auch mystischen Bourgeoisie nichts gemein hat, haben sie überhaupt nichts zu schaffen. In der jüngeren Zeit ist der inflationär gebrauchte Begriff des Humanismus nur der Deckmantel für all die Täuschungen, mit denen gewisse Abteilungen der kapitalistischen Gangsterwelt im Laufe dieses Jahrhunderts die platte und niederträchtige Komödie aufgeführt haben, die die Geburtszange des opportunistischen Verrats war: Verurteilung der Aggression, der Gräueltaten, des Menschen- und Völkermords.

Diesen Leuten hat Marx in klassischer Weise entgegnet, dass sich die Geschichte bis heute und noch für eine weitere Phase (und mehr als eine, wenn sich unsere ultra-optimistische Theorie, nach der wir uns in der letzten der Klassengesellschaften befinden, nicht behaupten würde - was den Philistern zupass käme) auf Kosten der Personen und Individuen, also der menschlichen Körper und "Geister", Bahn gebrochen hat, und auch auf Kosten ganzer Völker, wie jeder, auch ohne Marx zur Hand zu haben, unschwer sehen kann (die puritanische Zivilisation des ultra-humanistischen Amerika könnte darüber ‘ne Menge erzählen!).

Die marxistische Position

Das erste auf dem Kongress in Venedig die Professorenschar interessierende Thema [Mensch und Natur] lieferte unserer kleinen Versammlung in Parma das Stichwort, unsere anti-individualistische These, die die Knoten des uralten Wirrwarrs zwischen Monisten und Dualisten, zwischen Geist und Materie löst, deutlich zu machen. Abgesehen vom offensichtlichen Zusammenhang zwischen beiden Themen, bot uns das zweite [Freiheit und Wert] Gelegenheit, unsere dem Warensystem entgegengesetzte These zu bekräftigen. So wie unsere Revolution als einzige und erste den Sprung aus dem Personalismus heraus machen wird, genauso wird sie den Sprung aus der in vielen Formen auftretenden Pest der Warenwelt vollziehen.

Die heute so in Mode gekommene Kategorie Wert ist nichts weiter als der hohle Überbau des ökonomischen Tauschwerts, der den Marktwirtschaften angehört. Wir werden uns nicht der Reihe derer anschließen, die auf der Suche nach neuen und anderen Werten sind oder uns gar an ihre Spitze stellen. Wenn das Arbeitsprodukt wie die Arbeit selbst nicht mehr den Zweck haben, vermittelst des Geldes gegen ein anderes Produkt ausgetauscht zu werden, wenn Arbeit und Produktion (ohne die Schranken in der Konsumtion) ein Ziel und eine Freude in sich selbst sein werden, dann bleiben keine ideologischen Werte, über die in Literatur oder auf Kongressen geschwätzt werden könnte. So wie die Kategorie Freiheit, die historisch stets die Bedeutung des Kampfes der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker hatte, in einer Gesellschaft ohne Antagonismen - weil ohne Kauf und Verkauf von Arbeitskraft - jeden subjektiven Sinn verliert, und ihr Subjekt nicht mehr die Person oder unterjochte Klasse sein wird, sondern der gesellschaftliche Mensch, der sie jenseits der Grenzen materieller Naturnotwendigkeit nicht mehr wird verlieren können, so wird auch die ökonomisch hinfällig gewordene Kategorie Wert als Gegenstand verbaler Klugschwätzereien, hinter denen das Nichts gähnt, verschwinden.

Einige Seiten weiter können wir unsere "Kritik der politischen Ökonomie" lesen: "Als zweckmäßige Tätigkeit zur Aneignung des Natürlichen in einer oder der anderen Form ist die Arbeit Naturbedingung der menschlichen Existenz, eine von allen sozialen Formen unabhängige Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur. Tauschwert setzende Arbeit ist dagegen eine spezifische gesellschaftliche Form der Arbeit" [MEW 13, S. 23/24].

Der Text nennt das Beispiel der Schneiderarbeit, die als besondere produktive Tätigkeit zwar den Rock, aber nicht den Tauschwert desselben produziert; heute produziert sie den Rock als abstrakt-allgemeine Arbeit, die einem bestimmten Gesellschaftszusammenhang (handwerkliche bzw. kapitalistische Warenproduktion) angehört - "den der Schneider nicht eingefädelt hat".

In der Antike produzierten "die Weiber" den Rock, ohne dessen Tauschwert zu produzieren, fügt Marx hinzu. Und, unserer Sache sicher, fügen wir hinzu: In der kommunistischen Gesellschaft wird man Kleider, wie jede andere Sache auch, ohne deren Tauschwert produzieren. Der Sozialismus - immer wieder im Dialog mit Stalin! - ist im unteren wie oberen Stadium Ökonomie ohne Tauschwerte.

Wenn also Marxisten die Nicht-Existenz des Wertes in der kommunistischen Struktur theoretisch antizipieren, welche Werte sollten sie dann noch im Überbau suchen? Sobald irgendwo ein ökonomischer Wert auftaucht, ist er kraft des Tauschgesetzes für ein anderes Subjekt verschwunden. Wert ist da, wo Unterdrückung ist. Selbst die Abschaffung der ökonomischen Ausbeutung ist eine Formulierung (siehe oben), die historisch gesehen ungeeignet und unvollständig ist; genauer sagen wir, dass es um die Abschaffung jeglichen Tauschwerts und jeglicher Produktion von Arbeitswerten geht. Werden diese nicht mehr durch die Arbeit produziert, welche Werte sollten dann in der Sphäre der "philosophischen" Untersuchung, die wir den Philistern überlassen, übrig bleiben? Schließlich hallt das Binom Freiheit und Wert in seiner signifikanten Bedeutung nur in einer Gesellschaft wie der bestehenden wider, worin der Betrug am Menschen durch den Menschen, wir sagen nicht, ein mehr oder weniger verbrecherischer Zwischenfall ist, sondern seinen inneren Grund in der Struktur hat, die die Produktion, die Konsumtion und folglich auch das Denken determiniert.

An der Suche nach Freiheit und Wert liegt also dem revolutionären Marxismus überhaupt nichts. In seiner Parteilehre hat der Kampf des Proletariats absolut nichts mit irgendeiner Teilnahme an einem universellen Wettbewerb zu tun, der die trügerische Reihe von Formeln, die die antagonistischen Gesellschaften den Menschen in den Wechselfällen ihrer Vorgeschichte vorgesetzt haben, um noch eine weitere bereichern will. Diese Reihe geht in der gegenwärtigen bürgerlichen Epoche ihrem Ende entgegen - es bleibt nur noch ein einziges Treppchen zu erklimmen. Aber diese Epoche ist gleichzeitig die feindseligste und feindlichste und die einer totalen Zerstörung, einer erbarmungslosen Negation aller falschen Werte würdigste - Werte, bei deren offiziellem Mummenschanz heute, wo die Bourgeoisepoche den Gipfel ihrer Verkommenheit erreicht, alle verzweifelt bemüht sind mitzumachen.

Person und Partei

Nachdem die Frage des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft kritisch überwunden ist, sind unsere Gegner - befangen, wie sie nun mal in der herrschenden Ideologie sind - darauf aus, das großartige marxistische Bauwerk der revolutionären Parteitheorie ins Wanken zu bringen, indem sie die Frage des Verhältnisses zwischen Person und Partei, bzw. das alte Thema der Chefs und der Hierarchien, wieder hervorkramen. Ein Argument, das jede Organisationsform und nicht nur die politische Partei betrifft, da jeder Organisationstypus seinen berüchtigten "Apparat" hat. Wir haben bei verschiedenen Anlässen, u.a. auf der Versammlung in Paris 1957, gezeigt, dass auftretende Gefahren eher in der Parteiform als in anderen Organisationsformen (deren Geschichte voll von Degenerationserscheinungen ist, die die opportunistischen Wellen mit sich brachten) beherrscht und überwunden werden können. Die klassische "Bonzokratie" - mit üppigen Gehältern ausgestattet und, infolge einer stumpfsinnigen Ehrfurcht, die wir zu Zeiten Lenins bis aufs Messer bekämpften, unantastbar geworden - war das Bindegewebe der II. Internationale. In den Gewerkschaften und den aus Wahlverfahren hervorgegangenen Organismen, die die Lebenskraft der organischen Zentren der politischen Bewegung erstickten und sie unterwarfen, nahm der Einfluss der Bonzen überhand. Dies war der Kern der vernichtenden Kritik Lenins am Opportunismus, der in allen Ländern wütete.

Wenn auf diesen Hinterhalt der Verleumder des Marxismus eingegangen wird, darf nicht vergessen werden, dass wir nicht die "Partei" überhaupt, irgendeine historische Partei unter anderen verteidigen, sondern die besondere und spezifische Form der revolutionären Partei, die allein und zum ersten Male die historische Aufgabe der modernen proletarischen Klasse verkörpert und aus dieser Aufgabe keinen Selbstzweck, sondern das Mittel zur Verwirklichung des kommunistischen Programms macht. "Der Sozialismus", so Engels in seinem ersten Programmentwurf in Form eines Katechismus, der dem "Manifest" vorausging, ist "die Lehre von den Bedingungen der Befreiung des Proletariats" [MEW 4, S. 363]. Nicht weniger allgemein ist es, den Satz zu zitieren: Die Befreiung der Arbeiter muss das Werk der Arbeiter selbst sein. Dies sind dialektische Positionen gegenüber dem Postulat, der bürgerliche Liberalismus, als letzte Etappe, habe das moderne Proletariat bereits emanzipiert, oder dem noch schlimmeren und heute breitgetretenen Leitspruch, seine Emanzipation könne das Werk der kleinbürgerlichen "Volks"masse sein.

Ein weiterer Grundsatz, den Lenin so ausdrückte: ‘Die Revolution muss dem Proletariat dienen und nicht das Proletariat der Revolution', muss ebenfalls dialektisch verstanden werden (jede unserer Thesen wird erst gebraucht, nachdem die Antithese, die sie historisch hervortreten ließ, herausgearbeitet wurde), d.h. in dem Sinne, dass die Arbeiterklasse keine Kraft im Dienste irgendeiner Revolution ist (es ging damals um die Revolution, die in die Weimarer Republik mündete), sondern dass der revolutionäre Kampf für die der proletarischen Klasse eigenen Ziele, d.h. für das kommunistische Programm geführt wird.

Der Einwand, nach dem die Chefs "alles kaputt machen", ist eine jahrhundertealte Hilfsquelle der antisozialistischen Polemik seitens altruistischer Bourgeois, die den Arbeitern sagten: ‘Ihr wollt euch vereinigen, um euch zu schützen? Nun, dafür braucht ihr jemanden, der euch organisiert; und ihr werdet ihm die gleichen Opfer bringen müssen, die ihr, eurer Meinung nach, heute für uns Herren bringt'. Die von versauerten Jungfern der Revolution demonstrierte sehr moderne Schamhaftigkeit gegenüber der mutigen, aufrichtigen und selbstlosen Forderung nach der Diktatur der kommunistischen Partei als der einzig wirklichen Form der proletarischen Diktatur, ist nur die soundsovielte Auflage dieses traditionell reaktionären Einwandes.

Die einzige Form indes, die die "bonzistischen" Degenerierungen vermeiden wird, ist die, in der die unverblümte Erklärung der Partei, die alleinige Führung des revolutionären Kampfes anzustreben, nicht durch das scheinheilige Angebot ersetzt wird, den demokratischen Regeln gemäß die Massen wählen zu lassen, um ihrem Willen zu dienen (ganz gleich, was sie wollen). Die Aussage, dem Proletariat zu dienen, haben in der Geschichte alle, wie vor allem die praktische Erfahrung zeigt, käuflichen und demagogischen Verräter der Revolution von sich gegeben; überdies ist sie Widerhall einer dreckigen bürgerlichen Mentalität. Dienen (wer besser dient, der profitiert mehr) ist die Devise des internationalen "Rotary Club", d.h. der weltweiten Organisation der Mehrwertaussauger, denen sehr daran gelegen ist, glaubhaft zu machen, dass ihnen nur das Allgemeinwohl am Herzen liegt.

Die lange, qualvolle und blutige Geschichte der Klassenpartei der Arbeiter wird enden, wenn die Partei die schäbige Phase überwunden haben wird, in der sie sich dem Proletariat anbiedert - was aus ihnen wohl brave Wähler oder Beitragszahler macht, sie aber nicht revolutionär von den weniger sichtbaren Ketten ihrer Knechtschaft, die sie in sich selber tragen und die kein Heroismus sprengen kann, befreit.

Wir werden hier nicht die Geschichte der Irrtümer und Gefahren der Nicht-Parteien wieder aufrollen. Sind denn z.B., wie sich anscheinend chinesische Ideologen einbilden, die Dezentralisierung des Staates, die Volkskommunen also, ein Abwehrmittel gegen die Gefahr der allmächtigen Chefs oder gefürchteten Machtcliquen und Seilschaften, gegen drohende Palastrevolutionen und ähnliche unheilvolle belletristische Schatten? Diesem Kinderkram gegenüber reicht es, mit einer Episode zu antworten, die man seit Jahrhunderten jungen Leuten erzählt: Als Julius Cäsar, der Diktator par excellence (die modernen Diktatoren sind im Vergleich zu ihm bloß kleine Pimpfe), ein armes Alpendörfchen durchquerte, rief er mannhaft aus: "Lieber der Erste in diesem Dorf, als der Zweite in Rom!".

Wenn die Person eine Gefahr darstellt - in Wirklichkeit ist sie nichts anderes als eine jahrtausendealte Wahnvorstellung der auf der Schattenseite stehenden und von ihrer Gattungsgeschichte getrennten Menschen -, liegt das Mittel zu ihrer Bekämpfung allein in der qualitativ universellen Einheitlichkeit der Partei, worin sich jenseits der Grenzen der Region, der Nationalität, des Berufszweigs, des Fabrikzuchthauses der Lohnarbeiter, die gebündelte revolutionäre Kraft verwirklicht; und worin die zukünftige Gesellschaft antizipiert ist, die keine Klassen und keinen Tausch kennen wird.

Die "charismatische" Partei

Angesichts der jüngsten Formen bürgerlicher Verkommenheit - den Oligarchien, Prätorianercliquen, Verbrechergangs, vampirhaften Machtbanden und ähnlichen Witzblatt-Figuren, über die sich die Presse wie überhaupt alle heutigen Schwatzrunden aufgrund der Leichtgläubigkeit und Verdummung nicht genug auslassen können - sehen ausgemachte Bourgeois und manch halbseidene Linke das Heilmittel in einer dem bürgerlichen Arsenal entliehenen "Garantie", die nicht minder idiotisch ist als die oben genannte: nämlich in der "Demokratie", die als allgemeines Vertretungssystem auch im engeren Bereich - wo sich die Illusion als noch hohler erweist - der Klasse und selbst der Partei Geltung bekommen soll.

Innerhalb klar definierter historischer Grenzen hat der Wahl- und Abstimmungsmechanismus eine gewisse "Effektivität", da er, ohne dass die Warenproduktion oder die bürgerliche Verfassung irgendwie in Frage gestellt würden, extreme Missstände und Auswüchse in Schranken hält (natürlich zu konterrevolutionären Zwecken), die zwar einzelnen Individuen, nicht aber der Fortexistenz der herrschenden Klasse insgesamt nützen. Auch auf diesem konkreten Gebiet wird die Verhinderung oder Unterdrückung von Missbrauch nicht durch regionale oder berufsständische Autonomie garantiert werden können, sondern im Gegenteil dadurch, dass sich der Radius der Organisations- und Machtkreise immer mehr vergrößert und so den unteren und engeren Instanzen als Korrektiv nützlich ist.

Das innere Parteileben konnte und kann zwecks rein mechanischer Abläufe ein solches System, das zweifellos hierarchische Formen hat, benutzen, aber es kann in seinem Getriebe keinerlei "Sicherungen" gegen die historischen Krisen, deren Ursachen anderswo liegen, einbauen. Die Linke hat daher über Jahrzehnte hinweg immer wieder klar gestellt, dass die Partei nicht einmal zeitweise unfehlbar ist und die Wirkungen ihrer nach außen gerichteten Aktionen dialektisch in ihrer inneren Struktur spüren wird; sie erfährt Krankheiten und Krisen; mit regenerierenden Spaltungen und langen historischen Wartezeiten büßt sie dafür, von der invarianten klassischen Doktrin abgewichen zu sein, ihre innere Organisation und strategische Kampfführung verwässert zu haben. Von daher unsere Verurteilung der Blöcke und Fronten, der Verschmelzung mit anderen Parteien, deren Unterwanderung usw. Hier ist nicht der Ort zu zeigen, dass alle in den Opportunismus gipfelnden Zusammenbrüche historisch auf derartige Manöver zurückgehen; die in Vorbereitung befindliche "Geschichte" des Kampfes der Linken wird das besser zeigen21.

Die bürgerlichen Ideologen können bei dieser so wichtigen Frage ihre banale Sichtweise nicht verhehlen: Sie fassen das Problem metaphysisch auf, als strukturelle Weiterentwicklung aller modernen Parteien im Allgemeinen, in allen Ländern, was immer auch ihr Programm sei - oder, wie wir genauer sagen, ihre Klassenbasis. In der liberalen Revolution nämlich habe die gesunde und reine Form der politischen Partei funktioniert und die Grundlage dafür sei die interne Demokratie sowie die Tatsache gewesen, dass die Mitglieder ihr aufgrund politischer Bekenntnisse, die sie sich erarbeitet hätten, beigetreten wären. Dieser Mechanismus wird als Primat der "Kultur" über die "Politik" dargestellt. Er schließt nicht aus, dass diese Parteien hierarchisch gegliedert sind, aber dies wird mit Hilfe des folgenden naiven Schemas gerechtfertigt: Chef sei ja der Gelehrteste und Weiseste. Politische Führung oblag im bürgerlichen, sanften und liberalen 19. Jahrhundert dem Meister, der seine Jünger oder sein Gefolge instruiert habe, so dass die Autorität in den Parteien inhaltlich von einem intellektuellen Gehalt getragen worden sei. Dieser politische Apparat stelle daher wirklich ein Korrektiv zur erdrückenden Verwaltungsbürokratie dar!

Nun denn, welche Begründungen auch immer herangezogen werden mögen, jedenfalls war die Demokratie das Allheilmittel, und die "Gefolgschaft" wählte in diesen Parteischulen die Führer. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist diese Illusion flachgefallen, weil "Massenparteien" entstanden, in denen die Basis die demokratischen Rechte verlor und die Chefs, die auf geheimnisvolle Weise legitimiert waren, irgendwie vom Himmel fielen. Die ganze Erklärung, die für diese geschichtliche Palingenese22 gegeben wird, besteht in der Aussage, dass die Herde dem Chef und der ihm zur Seite stehenden Jüngerschaft folge, weil er ein "Charisma" habe, d.h. eine quasi von Gott empfangene Gnade, die er allein besitze und, wenn er wolle, anderen spenden könne. Damit soll der Kultur wieder zu ihrem Recht verholfen werden, die in der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts vor die Hunde gegangen und von der Politik mit Füßen getreten worden sei: der Chef wird nicht mehr Chef, weil er der Weiseste ist, sondern sein Wort ist maßgebend, weil er der Chef ist - wenn auch ein Hohlkopf, er wird "der Beste"23 sein.

Gewalt oder Vernunft

Unsere Kritik an der in der III. Internationale unter dem unpassenden Namen "Bolschewisierung" erhobenen Forderung nach der Massenpartei und an der Art und Weise der Führung in den kommunistischen Parteien, ist bekannt; niemals aber sollte sie auch nur in die Nähe jener Kritik gerückt werden, die sich auf die "Demokratie im Allgemeinen" apologisierende Positionen stützt und einen Idealtypus für Parteien aller Couleur entwirft. Eine Vorstellung, die dort landet, wo - wie leicht abzusehen war - die Stalinisten landeten: in einem flachen Sozialpazifismus.

Bei der Frage nach dem Charakter der kommunistischen Partei einerseits und der nach der Entwicklung der Parteiform in der bürgerlichen Epoche, bzw. des Verhältnisses zwischen Politik und Kultur andererseits, handelt es sich also um zwei ganz verschiedene Fragen.

Diese heutige Formel der charismatischen Partei, die in dem Verhältnis das Schwergewicht auf die Politik statt auf die Kultur legt, geht laut Artikeln Perticones auf den bekannten deutschen Soziologen Max Weber zurück, der die "demokratisch-kulturelle" Partei, doch noch zu Zeiten des I. Weltkrieges theoretisiert habe, bevor sie in der Hitler-Stalin'schen Delusion ein gewaltsames Ende gefunden hätte. Immer sind's also die ehemaligen Halb-Marxisten, die einem in die Quere kommen.

Bevor wir auf die jüngsten totalitären Formen und die billige Erklärung von wegen "charismatisch" zu sprechen kommen, wollen wir klar festhalten, dass der Marxismus niemals etwas mit einer "Parteien"-Theorie gemein gehabt hat, in der von einer Dynamik durch das ausgewogene Gleichgewicht der einzelnen Meinungen die Rede ist. In unserer Auffassung ist die revolutionäre Partei im Besitz ihrer Lehre, die von allen ihren Mitgliedern angenommen und geteilt wird; weshalb diese aber nicht ermächtigt sind, die Lehre bei jedem Wetterumschwung, womöglich mit Hilfe von Mehrheitsbeschlüssen, umzuändern: Unsere Doktrin entsteht kollektiv und gleichzeitig monolithisch kraft der tiefgreifenden Erschütterung eines historischen Wendepunktes - nicht etwa durch die Vereinigung einzelner Zellen. Es ist die Auffassung der Partei aus einem Guss.

Über die in anderen Parteien kursierende Legende eines "goldenen, demokratischen Zeitalters" scholastischen Typs, oder dem von Kinderbildungsstätten, können wir nur lachen. In der bürgerlichen Revolution jedenfalls stützten sich alle auf die Diktatur und den Terror: Sie nannten sich Aufklärer, aber diese Einbildung zerstörte bereits Babeuf, der der Gewalt im sozialen Kampf ein größeres Gewicht als der Vernunft beimaß. Die der Organisation nach rationale Partei Max Webers hat daher keinen irgendwie gearteten proletarisch-sozialistischen Ursprung. Es bleibt also dabei: Die Schule der Proletarier wird die siegreiche Revolution sein, die vorläufig verlangt, die Waffen in die Hände zu nehmen, und nicht, politische Doktortitel zu erlangen; auch die Parteimitglieder läßt man keine "Examen" ablegen. Seit den Kämpfen innerhalb der II. Internationale hat die Linke stets die These der "kulturistischen" Partei verspottet24.

Seit ihrem ersten Auftreten haben die Parteien der Bourgeoisie nicht Kristallisationen politischer Bekenntnisse ausgedrückt und verteidigt, sondern Klasseninteressen: Die zahlreichen mittel- und kleinbürgerlichen Parteien bildeten bestimmte Mechanismen heraus, um die Forderungen des Großkapitals in den politischen Aberglauben25 der Mittelklassen und der feigen Kleinbourgeoisie zu übersetzen. Diejenigen Parteien, die ihre Mitglieder am ehesten in den "intellektuellen" Schichten anwarben, sind auch diejenigen, die in der Geschichte und Gesellschaft am wenigsten klar sahen und die Unternehmungen und Erwerbungen des europäischen Kapitalismus mit naiven Helden versorgten, die sich dessen dumpfe Begierden als Ideale einbläuen ließen. Während des ganzen Risorgimento finden wir nur eine große Ausnahme von dieser mystifizierenden Rationalität und diesem "Kulturgehabe" im politischen Kampf: Carlo Pisacane26, einen Marxisten, der keine Gelegenheit hatte, Marx zu lesen, der jedoch sein Leben für die nationale Sache gab und, bevor die staatlichen Schergen seiner habhaft werden konnten, von der analphabetischen und der Klasse gleichgültig gegenüberstehenden Bauernschaft erschlagen wurde.

Die lächerliche Epoche der "bigs"

Perticone stellt die Phase, in der die Demokratie durch die Willensbildung in den Parteien geprägt war, den Phasen gegenüber, in denen strengste Disziplin gegenüber einem treibenden Zentrum herrscht, das die Basis mit bestimmten Namen oder gar mit einem einzigen Namen identifiziert. Diese Entgegensetzung wird nur dann verständlich (und sofern man nicht dem ersten Typus nachtrauert, sich also Weber anschließt, oder seine Neuauflage in Form eines liberalen Mehrparteienkarussells erhofft - das sich übrigens auch früher nie wirklich gedreht hat), wenn man die Kritik an der heutigen Verkommenheit der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt und in der Lage ist, sich den entgegen gesetzten Weg nicht metaphysisch als Ausweg vorsetzen zu lassen, womit man z.B. bei der Partei eines Stalins oder eines Hitlers, Mussolinis oder (heute) etwa De Gaulles landet.

Diese gewaltigen Organisationen - deren wahre Ursache in der Passivität der Massen in einer zerfallenden Gesellschaft zu suchen ist, was nicht auf ein Defizit an "Kultur und Bildung" oder auf einen Mangel an "Meistern" zurückzuführen ist, sondern auf ein Defizit an spontaner revolutionärer Kraft, dessen komplexe und weit zurückliegende Gründe bekannt sind - charakterisiert ein merkwürdiger Widersinn: Auf allen Seiten wird das moderne "charismatische" System, in dem stets und überall der Chef zum Idol gemacht wird (ein Idol, das noch schneller fallengelassen wird als es emporgehoben wurde!), just damit gerechtfertigt, dass das blödsinnige demokratische Allheilmittel apologisiert und die per Volksabstimmung und Plebiszit zustande gekommene Akklamation, die das "Bewusstsein" zur Grundlage habe, gerühmt wird.

Die totalitären Staaten wie Deutschland, Italien und Japan wurden durch den Krieg gestürzt, und mit ihnen ihre Regierungsparteien. Unter den Siegern sind die westlichen Staaten parlamentarische Demokratien und die ihrem Einfluss unterworfenen Länder wurden immer mehr bedrängt, sich in dieser Rechtsform zu organisieren. Russland und seine Bruderländer haben das System der Einheitspartei beibehalten und es gibt keine um die Macht konkurrierenden Parteien; aber die Politik der dem Namen nach kommunistischen Parteien in anderen Ländern stützt sich ganz auf die offene Apologie der Wahldemokratie, die von den jeweiligen Regierungen gefordert wird. In dem Streit, den die beiden Staaten- und Parteienblöcke zelebrieren, nimmt die Forderung nach Demokratie einen Ehrenplatz ein und die am liebsten vorgebrachte Bezichtigung ist die, den sich in Wahlen manifestierenden Volkswillen verhöhnt zu haben. Jeder der Kontrahenten klagt ganz selbstverständlich den jeweils anderen dieser Niedertracht an.

Ungeachtet dieser flächendeckenden und bis zum Überdruss wiederholten Anrufung der Volkssouveränität bleibt es nach jedem Zusammentreffen dieser Weltmächte bei der allgemeinen Regel und ungeachtet des Streits bei der Prämisse, dass die Millionen Menschen, deren Interessen (wir sagen nicht: deren Meinungen) auf dem Spiel stehen, ferne Zuschauer einer Versammlung von 4 oder 5 großen Persönlichkeiten sind, die von 4 oder 5 Regierungen der monströsesten Staaten an die Spitze gehievt wurden. Und in dieser demokratischen und volksnahen Welt werde alles von diesen fünf "bigs" an der Spitze entschieden, d.h. von fünf Typen unter zwei Milliarden - allesamt "demokratisch-souveränen" - Angehörigen der menschlichen Gattung; fünf ganz großen Figuren, denen wir die Apostrophe eines vergessenen Dichters widmen, die ironischerweise als der schönste Hendekasyllabus der italienischen Literatur zitiert wird: "0 big piramidal, che fai tu li?"27.

Könnte die Demokratie sich noch schamloser erniedrigen und noch mehr auf den Hund gekommen sein?

Wie stehen die "chances" für eine rationale Soziologie der "élite"-Meinungen, der Auslese kultivierter Menschen, die nach Vorstellung eines Max Weber weltweit das politische Leben leiten sollen, wobei sie von Zeit zu Zeit mit einem eleganten fair play, einer großherzigen Ritterlichkeit, einen Machtwechsel vornehmen?

Der marxistischen Linken, die die monströse Massenpartei und das Hofieren der Massen zurückweist, wurde vorgeworfen, der Theorie der intellektuellen Eliten anzuhängen. Nun, wir sind sowohl gegen die Demokratie in der Gesellschaft, in der Klasse und in der Partei (für letztere fordern wir einen organischen Zentralismus) als auch gegen die Funktion von Führungseliten, einem schlechten Ersatz für die Chef-Person - anstelle einer einzelnen eben eine Kollegial-Marionette, was in bestimmten Zeiten ein Rückschritt ist. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass unsere Doktrin nicht eine Parteienkonstellation vorsieht, sondern die Funktion einer einzigen Partei, und ihr Dialog mit allen anderen Parteien findet weder auf intellektueller noch kultureller Ebene statt, schon gar nicht auf der von Wahlen oder der des Parlaments, vielmehr setzt sie auf die Klassengewalt, die materielle Kraft, die die Unterwerfung und Zerschlagung aller anderen Parteien zum Ziel hat.

Die Partei, die - dessen sind wir sicher - in einer leuchtenden Zukunft wiederentstehen wird, wird aus einer starken Minderheit von Proletariern und anonymen Revolutionären bestehen, die, so wie die Organe eines Lebewesens, unterschiedliche Funktionen ausüben werden. Aber alle - ob an der Basis oder im Zentrum - werden an die unantastbare und unbeugsame Norm gebunden sein: an die Einhaltung der Theorie; die Kontinuität und Strenge in der Organisation; die präzise Methode des strategischen Handelns, wobei die zulässige Aktionspalette aus der schrecklichen historischen Lektion gefolgert werden muss, die uns der Opportunismus mit seinen Verwüstungen erteilte.

In dieser, endlich unpersönlichen Partei, wird keiner die Macht missbrauchen können, eben weil sich ihre unnachahmliche Charakteristik im seit ihrem Ursprung von 1848 ununterbrochenem Faden von allen anderen Parteien unterscheidet.

Diese Charakteristik besteht darin, dass die Partei und ihre Mitglieder niemals zögern werden zu sagen, dass ihre ausschließliche Funktion die Eroberung der politischen Macht und die zentrale Machtausübung ist; keinen Moment lang, und solange die Parteien des Kapitals und deren kleinbürgerliche Lakaien nicht ausgemerzt sind, wird sie dieses Ziel verheimlichen.

Quellen:

"Contenuto originale del programma comunista è l'annullamento della persona singola come soggetto economico, titolare di diritti ed attore della storia umana": Il programma comunista, Nr. 21 + 22, 1958.

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MEW 4: Marx/Engels - Manifest der Kommunistischen Partei, 1848.

MEW 4: Engels - Grundsätze des Kommunismus, 1847.

MEW: 13: Marx - Vorwort zur "Kritik der politischen Ökonomie", 1859.

MEW 18: Marx - Über die Nationalisierung des Grund und Bodens, 1868.

MEW 22: Engels - Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland, 1894.

MEW 31: Marx an Engels, 4. November 1864.

MEW 40: Marx - Auszüge aus James Mills Buch "Élémens d'économie politique", 1844.

LW 2: Lenin - Zur Charakteristik der ökonomischen Romantik, 1897 

1 Immediatismus (lat.): hier im Sinne von Unmittelbarkeitsdenken. Mit diesem Ausdruck bezeichnet der Verfasser jene politische Richtung, die nur die sofortige Lösung der aktuellen Tagesfragen ins Auge fasst, ohne nach deren tieferliegenden mittelbaren Ursachen zu fragen. Durch den Versuch, die unmittelbaren Probleme unmittelbar zu lösen, bleiben sie im Käfig der kapitalistischen Widersprüche gefangen. Der Aktionismus dieser "Politik" führt direkt in den Opportunismus, der, wie Engels in seiner Kritik sagt, "die Zukunft der Partei einem Tageserfolg opfert."

2 Bezieht sich auf: "1958-06-01 - Das revolutionäre Programm der kommunistischen Gesellschaft beseitigt jede Form des Eigentums am Boden, an den Produktionsanlagen und an den Arbeitsprodukten". 

3 Chaulieu: Pseudonym für Cornelius Castoriadis (1922-97), Theoretiker der Gruppe "Sozialismus oder Barbarei". Socialisme ou Barbarie: Dies war eine französische Gruppe, welche sich nach dem 2. Weltkrieg von einer trotzkistischen Organisation abspaltete und in den 60er Jahren zu einem guten Teil in der Sozialdemokratie landete. Sie nahm anarchistische und rätesozialistische Argumentationen auf, und kam zunehmend dahin, die Totalität des Marx'schen Denkens und die proletarische Theorie radikal zu kritisieren. Der Verfasser bezieht sich des Öfteren auf diese Gruppe, weil die theoretische Verwirrung angeblich linker Marxisten in solchen Formulierungen besonders deutlich wird.

4 Hier: in der Ökonomie.

5 differentia specifica (lat.): der spezifische Unterschied.

6 Siehe: "1953-01-22 - Klassischer Kapitalismus - romantischer Sozialismus".

7 Es handelt sich um die Versammlung in Asti, 1954: "Vulcano della produzione o palude del mercato? Economia marxista ed economia controrivoluzionaria" (Vulkan der Produktion oder Sumpf des Marktes? Marxistische Ökonomie und konterrevolutionäre Ökonomie); Il programma comunista, Nr. 13-19, 1954.

8 Siehe: MEW 18, S. 62.

9 Siehe: Marx an Engels, 4.11.1864, MEW 31, S. 15.

10 "essere umano" bedeutet rückübersetzt Mensch, menschliches Dasein bzw. Sein. Marx verwendet den Ausdruck des "menschliches Wesens" hier im aus der Philosophie stammenden Sinn (seine gesellschaftliche Natur). In der italienischen Fassung hat dieses Wesen als "essere umano" eher einen physischen und biologisch-sozialen Sinn (weiter unten im Text wird dann auch das im Marx'schen Wortsinn gebrauchte "Wesen" als essenza umana oder auch natura umana verwendet). Die Übersetzung richtet sich nach dem italienischen Text.

11 Der 12. internationale Kongress für Philosophie fand in vom 12.-18. September 1958 in Venedig statt.

12 sub specie aeternitatis (lat.): unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit.

13 drammatis personae (lat.): in einem Drama auftretende Personen.

14 do ut des (lat.): altrömische Rechtsforderung für Austauschgeschäfte und gegenseitige Verträge.

15 Emanation (lat.): Hervorgehen aller Dinge aus einem höheren (göttlichen) Ursprung.

16 Mechanismus: Philosophische Richtung des Materialismus, die alle Bewegungsformen der Materie (einschließlich Leben und Bewusstsein) auf mechanische Prozesse reduziert.

17 Croce, Benedetto (1866-1952): italienischer Philosoph und Politiker. Croce, der auch als "Laienpapst der Bourgeoisie" bezeichnet wurde, war Idealist, ein Jünger Hegels; seiner Ansicht nach hatten die Naturwissenschaften ihren Erkenntnischarakter an die Philosophie abgetreten, denn nur der Geist sei zur Erkenntnis des Wahren fähig. Als Politiker war Croce Führer der liberalen Partei und Antifaschist, der in seinen Schriften das liberale, "gute alte Italien" des 19. Jahrhunderts beschwor. Bordiga kommt besonders in der Schrift: Comunismo e conoscenza umana (Kommunismus und menschliche Erkenntnis), in Prometeo, Nr. 3-4, Juli-September 1952, auf Croce zu sprechen.

18 Vulgärphilosophen und Soziologen wie Herbert Spencer, Auguste Comte ("Begründer" des Positivismus) und Roberto Ardigó übernahmen von sozialistischen Utopisten (Saint Simon) die Ansicht der damals so genannten "Sozialphysik" (Soziologie), deren Grundlage die Physiologie sei; in ihren Augen eine Wissenschaft, die, weil sie auch die psychischen Manifestationen erfasse, fähig sei, das Rätsel der historischen gesellschaftlichen Bewegung zu erklären.

19 Holbach, Paul H. D. (1723-1789): französischer Philosoph, Enzyklopädist. Unter seiner Leitung fassen mehrere französische (mechanische) Materialisten den gesamten französischen Materialismus im "System der Natur" zusammen. Hierin gipfelt der materialistische Kampf gegen Kirche und Staat in der vorrevolutionären Zeit.

20 "Die Umkehrung der Praxis in der marxistischen Theorie" ist ein in Rom 1951 referiertes Thesenpapier. Aus These 11: "Während also der Determinismus ausschließt, dass Wille und Bewusstsein des Individuums dem Handeln vorangehen, lässt die Umkehrung der Praxis dies als Resultat einer allgemeinen Verarbeitung der Geschichte in der Partei zu, und nur in ihr." Siehe: "1951-04-01 - Theorie und Aktion in der marxistischen Lehre".

21 "Storia della sinistra", Band I-IV, 1912-22; der 1. Band erschien 1964.

22 Palingenese (gr.-lat.): Wiedergeburt, Wiederentstehung.

23 Wahrscheinlich eine Anspielung auf Togliatti, dessen Spitzname "der Beste" war.

24 Bereits 1912 hatte sich Amadeo Bordiga gegen die seitens der SPI propagierte "Arbeiterkultur" gewandt: "Wir wollen nicht wertvolle Energien verschleudern im Versuch, mit schulmäßigen Methoden dem abzuhelfen, was einer der wesentlichen unauslöschbaren Züge des Regimes der Lohnarbeit ist: Das niedrige Niveau der Arbeiterkultur." Siehe hierzu: "Arbeiterbewegung, Kultur und Antimilitarismus", S. 384-413, in Christian Riechers: "Die Niederlage in der Niederlage".

25 "Nur der politische Aberglaube bildet sich noch heutzutage ein, dass das bürgerliche Leben vom Staat zusammengehalten werden müsse, während umgekehrt in der Wirklichkeit der Staat von dem bürgerlichen Leben zusammengehalten wird." MEW 2, S. 128.

26 Pisacane, Carlo (1818-1857): Im Gegensatz zu Mazzini, der "keinen Blick für die Organisation der Gesellschaft, auf der der politische Überbau ruht", hatte, sondern sich "ausschließlich für die politische Form des Staates" [MEW 12, S. 420] interessierte und vom Norden Italiens aus die nationale Einheit herstellen wollte, hatte Carlo Pisacane (der die Gewalt als ein Mittel der Kultur bzw. Bildung begriff) aus der 1848er Niederlage die Lehre gezogen, dass die soziale Frage gegenüber der nationalen Vorrang hat und die Notwendigkeit einer Agrarreform im Mezzogiorno (wo die mazzinische Organisation nicht präsent war) hervorgehoben. Mit einer kleinen Schar Gleichgesinnter startete er im Juni 1857 von Genua aus nach Sapri. Die erhoffte revolutionäre Explosion "von unten" (im geographischen und sozialen Sinne) blieb aus. Vielmehr unterstützte die Bauernschaft, die bis dahin nicht in die Revolution einbezogen worden war, die Bourbonen - Pisacane fand mit den Seinen den Tod.

27 Apostrophe: feierliche Anrede. Hendekasyllabus: elfsilbiges Versmaß. "Oh pyramidaler großer Mann, was machst du denn da?"

Original : Contenuto originale del programma comunista è l'annullamento della persona singola come soggetto economico, titolare di diritti ed attore della storia umana

Übersetzung: http://alter-maulwurf.de

Source Il programma comunista, Nr. 21 + 22, 1958
Author Amadeo Bordiga
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