Fortsetzung der Diskussion über die Tätigkeit der Exekutive und über die Weltlage

Dreizehnte Sitzung des V. Weltkongresses der KI am 25.6.1924

BORDIGA: Genossen! Vor allem bitte ich um Entschuldigung, denn ich bin erst heute morgen eingetroffen und beteilige mich an dieser so wichtigen Aussprache unter etwas besonderen Verhältnissen. Ich werde versuchen, mich sehr kurz zu fassen.

Vor allem einige Worte über den Charakter des Berichtes des Genossen Sinowjew und über den Punkt der Tagesordnung, der hier zur Erörterung steht. Wir diskutieren über einen Bericht, über die Tätigkeit und Taktik der Exekutive der KI in der Periode zwischen dem 4. und 5. Weltkongreß. Offenbar handelt es sich bei der Diskussion nicht um die allgemeine Frage der Taktik der KI. Ich finde aber, daß auf diesem Kongreß eine allgemeine Aussprache über die Taktik notwendig gewesen wäre, und ich weise diesbezüglich hin auf die Behandlung, die diese Frage auf dem vorigen Weltkongreß erfahren hat.

Es ist richtig, daß der 3. Kongreß die taktische Frage ausgiebig diskutiert und die Thesen, die wir alle kennen, angenommen hat. In diesen Thesen wird aber nicht, sei es auch nur formell, von den Fragen, die seither die interessantesten geworden sind, z. B. Einheitsfront und Arbeiterregierung, gesprochen. Wir hatten nach dem 3. Kongreß Tagungen der Erweiterten Exekutive, die sich mit der taktischen Frage beschäftigten. Die Tagungen der Erweiterten Exekutive sind aber keine Weltkongresse. Der 4. Kongreß mußte aber die Arbeit dieser Tagungen der Erweiterten Exekutive gewissermaßen ratifizieren und in den Thesen die taktischen Direktiven der Internationale kodifizieren.

Die taktische Frage war auf der Tagesordnung. Sie wurde parallel mit dem Bericht über die Tätigkeit der Exekutive in einem Bericht des Genossen Sinowjew behandelt. -Es wurde sogar dem Kongreß ein Thesenentwurf zur taktischen Frage unterbreitet, den der Genosse Sinowjew selbst ausgearbeitet hatte. Und es ist richtig, daß dieser Thesenentwurf am Ende des Kongresses angenommen worden ist. Die Kommission aber, die sich mit diesem Problem zu beschäftigen hatte, und die, wenn ich mich recht erinnere, aus dem Präsidium und einigen Mitgliedern der wichtigsten Delegationen bestand, konnte diesen Punkt nicht entsprechend bearbeiten. Sie trat erst in den letzten Tagen zusammen, und erst in diesen letzten Minuten konnte ich einen Thesenentwurf unterbreiten, der dem des Genossen Sinowjew zuwiderlief und von dem der Kongreß nicht einmal Kenntnis nehmen konnte.

Wir befanden uns, wie gesagt, in den letzten Minuten des Kongresses, ich konnte nicht weiterdrängen. Man nahm einen Thesenentwurf zur taktischen Frage an, es gab aber keine wirkliche Aussprache über die taktische Frage wie auf dem 3. Kongreß.

Jetzt wäre nun eine solche Aussprache notwendig. Wir sehen aber eine Aussprache ganz anderer Art, weil eine Aussprache über die taktische Linie der Internationale im allgemeinen etwas ganz anderes ist, als wenn lediglich über die Taktik diskutiert wird, die die Internationale in der Periode zwischen dem letzten Kongreß und dem gegenwärtigen angewendet hat, und aus dieser Schlußfolgerungen von augenblicklichem, vorübergehendem Werts gezogen werden, ohne zu allgemeinen Schlüssen in bezug auf Fragen die in der Internationale noch nicht geregelt sind, zu gelangen.

LOSOWSKI: Die beiden Fragen werden zusammen diskutiert!

BORDIGA: Natürlich, wir haben aber keinen klaren und bestimmten taktischen Thesenentwurf vor uns. Wir haben vor uns die taktischen Thesen des 4. Kongresses, die abgeändert werden müssen, weil jedermann damit einverstanden ist, daß dies geschehen muß; selbst der Genosse Sinowjew hat dies zugegeben. Wir sehen aber keine Diskussion, die in richtigen Verhältnis zu dieser Aufgabe stünde. Ich möchte noch eine weitere Bemerkung machen über diese Debatte und über alle Debatten dieser Art, die hier stattfinden und den wichtigsten Teil des Weltkongresses bilden. Es wäre notwendig, daß wir die Tätigkeit und die Taktik der gesamten Internationale, den Bericht ihres höchsten Organs, der Exekutive, über ihre Tätigkeit zwischen den beiden Kongressen, besprechen. Es wäre notwendig, die Tätigkeit, das Werk des leitenden Organs der Internationale einer sehr aufmerksamen Prüfung zu unterziehen. In Wirklichkeit sehen wir aber, daß nicht über die Exekutive zu Gericht gesessen wird, sondern daß stets die Exekutive hier über jede Partei, über jede Sektion zu Gericht sitzt. (Beifall und Lachen.) Und die Redner, die auf dem internationalen Kongreß sich im Namen einer Sektion der KI an dieser internationalen Aussprache beteiligen, kümmern sich fast stets bloß um die Angelegenheiten ihrer Partei und antworten lediglich darauf, was der Genosse Sinowjew in bezug auf die Angelegenheiten der betreffenden Partei sagt. Die Redner bleiben stets in den durch ihre nationalen Angelegenheiten gezogenen Schranken. Wir sehen aber keine Aussprachen und Resolutionen wahrhaft internationaler Natur, in welchen die Massen der Mitglieder der KI im Wege der Delegierten zu dem Werk, der Tätigkeit des leitenden Organs in der Periode, die geprüft werden soll, Stellung nehmen würde.

Nach diesen Vorbehalten möchte ich nun einige Worte über die wichtigsten Fragen, von denen Genosse Sinowjew hier sprach und die den Gegenstand der Diskussion bildeten, sagen. Genosse Sinowjew gab uns eine Skizze der Weltlage mit der man im allgemeinen voll einverstanden ist. Er sagte uns: Wir haben auf dem 4. Kongreß die Möglichkeit einer Ära pazifistischer Illusionen vorhergesehen, und gegenwärtig sehen wir, daß in sehr wichtigen Ländern sich linksbürgerliche Regierungen, in manchen Ländern sogar unter Beteiligung der Sozialdemokraten, gebildet haben. Wir befinden uns daher in einer Periode, in der die Bourgeoisie eine völlig liberale, demokratische Politik treibt: man ist daher in einem gewissen Sinne gezwungen, diese Politik jener reaktionären und faschistischen Politik der Bourgeoisie gegenüberzustellen, die vor zwei Jahren auf der Tagesordnung zu sein schien, und die die Grundlage bildete für jene Schilderung der Lage, die wir auf dem 3. Kongreß formulierten, als wir die große Offensive des Kapitals feststellten.

Nun gebe ich zu, daß die Augenblickliche Orientierung in der Richtung einer linksbürgerlichen Politik zu liegen scheint, ich finde aber nicht, und ich glaube, daß der Genosse Sinowjew mit mir hierin einverstanden ist, daß dies ein Ende oder eine Verlangsamung der kapitalistischen Offensive bedeuten würde. Wir glauben, daß die Offensive des Kapitals sich sehr verschiedener Mittel bedienen kann. Es gibt einen Rechtsweg; dies ist die offene Reaktion, der Belagerungszustand, der Terror gegen die proletarische Bewegung. Es gibt Linksmethoden; diese sind die demokratische Lüge, die Illusion der Zusammenarbeit der Klassen. Diese beiden Methoden zielen aber auf den gleichen Zweck ab, und man muß nicht notwendigerweise annehmen, daß es scharf voneinander getrennte historische Perioden geben muß, in welchen die gesamte Weltbourgeoisie oder ein Teil der Weltbourgeoisie sich der Rechtswaffen oder der Linkswaffen bedient. Der Referent selbst sieht voraus, daß diese pazifistische Ära in einer ziemlich nahen Zukunft einer neuen Ära der faschistischen Reaktion den Platz abtreten kann. Meines Dafürhaltens gehen wir einer Synthese der beiden Perioden entgegen. Die Erwägungen bezüglich der Krise des Kapitalismus, die uns auf den vorhergehenden Kongressen zu der Feststellung veranlaßten, daß die Bourgeoisie, um ihre Macht zu behalten, gezwungen sei, eine scharfe Offensive gegen die Arbeiterklasse einzuleiten, behalten voll ihre Gültigkeit. Die Offensive der Bourgeoisie dauert an, und wo sie den Charakter des Faschismus angenommen hat (ich glaube, wir werden Gelegenheit haben, über den Faschismus bei andern Punkten der Tagesordnung zu sprechen), unterscheidet sie sich nicht sehr von der Diagnose des Genossen Sinowjew betreffend die sozialdemokratische Politik, die die Politik einer dritten bürgerlichen Partei, eine Politik der Mobilisierung einer Arbeiteraristokratie und gewisser bäuerlicher und kleinbürgerlicher Schichten im Interesse der Bourgeoisie geworden ist. Im Grunde ist auch der Faschismus nichts anderes. Der Faschismus ist nicht mehr die einfache traditionelle Reaktion des Belagerungszustandes, des Terrors, er ist eine weit modernere, schlauere, erfahrenere Bewegung, die gerade darauf abzielt, einen Halt in gewissen Schichten der Masse zu finden. Es ist schwer für ihn, die Masse der Industriearbeiter zu erfassen. Es gelingt ihm aber in der ersten Periode seiner Tätigkeit, in andere Schichten durch Ausschlachtung der kleinbürgerlichen Ideologie eine Mobilisierung, ähnlich der sozialdemokratischen Mobilisierung, die im Interesse der Aufrechterhaltung der bürgerlichen Verhältnisse stattfindet, herbeizuführen. Wir müssen uns darauf gefaßt machen, daß die beiden Methoden der bürgerlichen Offensive eine Synthese bilden werden, und daß die Sozialdemokraten und Faschisten zusammen eine scharfe Offensive gegen die revolutionäre Bewegung unternehmen und in Gemeinschaft als Gegner auftreten werden, gegen den der Weltkommunismus zu kämpfen haben wird.

Welche Schlußfolgerungen sind daraus zu ziehen? Wir stimmen alle darin überein, daß in einer Periode der demokratischen und liberalen Politik der Bourgeoisie für unsere Parteien die Gefahr gewisser pazifistischer und zu Zusammenarbeit neigender Illusionen besteht. Diese Gefahr tritt aber auch bei der faschistischen Reaktion zutage, weil da verlangt wird, daß aus der Offensive nicht die völlig marxistischen Schlußfolgerungen gezogen werden sollen, die Lenin auf dem 3. Kongreß zog, sondern weit banalere und einfachere, und zwar in der folgenden Weise: Die Bourgeoisie leitet durch die faschistische Bewegung eine Offensive gegen uns ein. Es ist der Augenblick gekommen, wo wir diese Anstrengungen mit einer Koalition der bürgerlichen Kräfte mit gewissen halbbürgerlichen Kräften, mit einer Koalition der nichtfaschistischen Parteien, mit einer Koalition der Kommunistischen Partei mit den sozialistischen und vielleicht auch mit gewissen kleinbürgerlichen oder bäuerlichen Parteien beantworten müssen. Natürlich ist dies eine falsche Antwort; der 3. Kongreß verlangte nicht, daß die Weltoffensive des Kapitalismus mit diesem banalen, der II.Internationale eigenen Mittel, einem Block der revolutionären Partei mit sogenannten proletarischen Parteien, die in Wirklichkeit den linken Flügel der Bourgeoisie darstellen, beantwortet werden soll. Es handelt sich um etwas ganz anderes. Es handelt sich darum, daß wir den Problemen der unmittelbaren Lebensverhältnisse des Proletariats, den Problemen, die durch die kapitalistische Offensive aufgerollt werden, eine entsprechende marxistische Beachtung widmen. Es handelt sich um die Feststellung, daß die Aufgabe der Kommunistischen Partei - hierin sind wir alle völlig einverstanden - nicht bloß darin besteht, für unser Minimalprogramm, für unsere marxistische Ideologie Propaganda zu machen, sondern auch darin, alle Episoden des Arbeiterlebens zu untersuchen, sie mit Aufmerksamkeit zu verfolgen, uns an allen durch die unmittelbaren Interessen der Arbeiterklasse hervorgerufenen Kämpfen zu beteiligen, diesen Kampf als das Gebiet zu betrachten, auf dem die Kommunistische Partei dem Proletariat das Kämpfen beibringt und es einer revolutionären Entwicklung des Kampfes entgegenführt.

Um dies zu tun haben wir die Pflicht und die Möglichkeit, uns selbst an die Arbeiter zu wenden, die unsere politische Ideologie noch nicht begriffen haben, die noch nicht in unserer Partei kämpfen, sondern andern Parteien Gefolgschaft leisten. Wir können zur Bildung einer Einheitsfront der Arbeiterklasse auffordern, wir können eine einheitliche Aktion der Arbeiterklasse anstreben. Das bedeutet aber keine banale Koalition mit den sozialdemokratischen Parteien, die wir als Verräter behandelt haben und die wir nach wie vor als die Schuldigen an der Lage, in der sich das Proletariat befindet, bezeichnen. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen. In dem ersteren Sinne haben wir stets erklärt, daß wir die Einheitsfronttaktik annehmen, und in diesem Sinne waren wir bestrebt, sie bei uns in Anwendung zu bringen. Es wurde hier diesbezüglich eine Formel unterbreitet; sie ist ziemlich annehmbar; eine Formel besteht - es ist dies sozusagen ein Übereinkommen - aus sehr wenigen Worten, und daher fast stets annehmbar, vorausgesetzt, daß man einander klar versteht und daß genau festgesetzt wird, was unter der Formel zu verstehen ist.

Die hier unterbreitete Formel lautet: Einheitsfront von unten und nicht von oben; es ist dies eine ziemlich gute Formel. Sie bedeutet die Einheitsfront der Schaffenden, der gesamten Arbeiterklasse, nicht die Koalition des Generalstabes der Kommunistischen Partei mit den Generalstäben anderer, sogenannter Arbeiterparteien. Denn wenn wir unsere gesamte revolutionäre, politische Vorbereitungsarbeit im Proletariat nicht in Frage stellen wollen, dürfen wir nicht die Annahme zulassen, daß es außer der Kommunistischen Partei noch eine andere Arbeiterpartei gibt, daß die sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien Teile der Arbeiterklasse sind, die sich aus Zufallsgründen getrennt haben, aber zusammen marschieren und kämpfen können.

Wir müssen im Gegenteil sagen, daß eine Unterscheidung unserer Partei von den opportunistischen Parteien eine Notwendigkeit des revolutionären Kampfes ist, daß wir aber trotzdem nicht darauf verzichten, zwischen Arbeitern, die schon Kommunisten sind, und Arbeitern, die sich in den sozialdemokratischen und opportunistischen und vielleicht sogar in bürgerlichen Parteien befinden, eine gemeinsame Aktion auf der Grundlage von Teilforderungen ins Auge zu fassen. Nun sehen wir eine durch den Genossen Sinowjew gegebene Formel, die nicht völlig die Einheitsfront von oben ausschließt. Wir sehen die Erklärung der Genossin Fischer, die sagt: Diese Formel ist zu klären, trotzdem können wir aber in gewissen Fällen einer Einheitsfronttaktik zustimmen, die uns zu Beziehungen mit den Führern, mit den Generalstäben anderer Parteien führt.

In welchem Sinne können wir dieser Auffassung zustimmen? Meines Dafürhaltens ist der Standpunkt, den wir gegenüber diesem taktischen Problem einzunehmen haben, der folgende: Die Grundlage der Einheitsfront darf nie die eines Blocks der politischen Parteien sein. Sie kann in andern Organisationen der Arbeiterklasse, ganz gleichgültig welchen, gefunden werden, aber in Organisationen, die, ihrer Verfassung nach, für eine kommunistische Führung erobert werden können, Organisationen, die revolutionär werden können. Wenn wir die Einheitsfront auf dem Gebiete der Gewerkschaften, der Betriebsräte und jeder andern Arbeiterorganisation, selbst wenn sie unter der Führung opportunistischer Führer stehen, vorschlagen, eine Einheitsfront, die für uns vielleicht die Notwendigkeit ergeben wird, mit den Führern persönlich zu verhandeln - das erschreckt uns nicht -, wenn wir dies tun, so fordern wir Organe zum Kampfe auf, die revolutionäre Organe werden können, und es, soll das Proletariat siegen, auch werden müssen. Wenn wir aber eine politische nichtkommunistische Partei zur Aktion auffordern, so wenden wir uns an ein Organ, das nicht imstande ist, für die Weltrevolution zu kämpfen, das nicht fähig ist, die Interessen der Arbeiterklasse zu fördern, und wir stellen durch unsere Haltung diesen Parteien ein Zeugnis revolutionärer Aktionsfähigkeit aus, das unsere gesamte grundsätzliche Arbeit, unsere gesamte auf die politische Vorbereitung der Arbeiterklasse abzielende Tätigkeit über den Haufen wirft. [ Lebhafter Beifall ]. Man sagt uns jetzt sogar: Gewiß, bei der Auslegung der Einheitsfronttaktik wurden opportunistische Fehler gemacht, sie wurde zu sehr im Sinne einer Koalition mit der linken Sozialdemokratie ausgelegt. Wir lehnen nun diese Auslegung ab und nehmen sogar an unserm Standpunkt in dieser Frage Abänderungen vor. Diese Taktik, die die Taktik einer Periode war, in der eine pessimistische Stimmung herrschte - es schien, daß die Linie der Revolution sich im Abstieg befand -, entspricht nunmehr nicht der gegenwärtigen Lage, die reich an revolutionären Möglichkeiten ist, wie das Genosse Sinowjew sehr gut dargelegt hat. Gegenwärtig wären wir viel mehr für eine Taktik, die die politische Selbständigkeit der Kommunistischen Partei klar zum Ausdruck bringen soll, bleiben aber bei der Meinung, daß wir uns an die breitesten Massen der Arbeiterklasse wenden müssen, um das Ziel zu erreichen, über das wir alle einig sind, und das in der allgemeinen Einheit der Arbeiterklasse und selbst der Bauernklasse unter Führung der Kommunistischen Partei besteht. Diese Auffassung ist aber meines Dafürhaltens nicht zufriedenstellend, denn sie bleibt an die gegenwärtige Konjunktur geknüpft.

Heute ist die Lage der Weltrevolution derart, daß sie uns von dieser Taktik der Koalition mit den Sozialdemokraten abrät. Wir haben aber keinerlei Gewähr dafür, daß man morgen nicht wieder damit anfängt. Unsere Auffassung unterscheidet sich von der des Genossen Sinowjew darin, daß wir der Ansicht sind, daß diese Taktik von Bündnissen mit opportunistischen Parteien nie eine nützliche Taktik für die kommunistische Revolution sein wird, weder wenn die revolutionäre Lage günstig ist und wo es klar ist, daß die Kommunistische Partei eine selbständige Rolle spielen kann, noch wenn die revolutionäre Lage eine ungünstige ist und der Moment der Endaktion weit entfernt zu sein scheint.

Aus diesem Grunde bin ich der Ansicht, daß diese Frage nur in dem Text von Leitsätzen über die Taktik der Internationale und nicht in einer einfachen Resolution zum Bericht der Exekutive, der sich bloß auf die verflossenen letzten zwei Jahre erstreckt, entsprechend erledigt werden kann.

Diese beiden Wege sind ganz verschieden. Die eine Lösung bietet eine ganz andere Gewähr für die Zukunft als die andere.

Man sagt uns z. B., daß die Thesen des 4. Kongresses gewisse Fehler enthalten, die richtiggestellt werden sollen. Wir nehmen diese Richtigstellung zweifellos mit Freude [Heiterkeit] zur Kenntnis, wir behaupten aber, daß die opportunistischen Fehler nicht bloß Fehler in der praktischen Anwendung waren, sondern Fehler in der Leitung der Internationale und des Kongresses, und daß - es muß ja gesagt werden - diese Fehler damals als die Verkörperung einer wahren kommunistischen Taktik betrachtet wurden.

Als z. B. der Genosse Graziadei, dem man soeben wegen seines Buches über die Theorie des Mehrwerts den Garaus gemacht hat [Heiterkeit], auf dem 4. Kongreß unmittelbar nach meiner Rede über denselben Punkt der Tagesordnung, mit dem wir uns jetzt beschäftigen, sprach, erklärte er, die linke Fraktion der italienischen Partei sei gegen die Fusion, weil sie gegen die Einheitsfront sei. Die Fusion, meinte er, sei ein Beispiel der Einheitsfront. Heute sind alle darüber einig, daß die organisatorische Unabhängigkeit der Kommunistischen Partei eine unumgängliche Voraussetzung der Einheitsfront ist, zu jener Zeit war das aber die offizielle Auffassung. Jetzt hat selbst Genosse Rienzi von unserer Minderheit diese Auffassung des Genossen Graziadei sehr richtig kritisiert. Damals aber rief man die Orthodoxie gegen meine ketzerischen Behauptungen zu Hilfe. Das war der Grundton des ganzen Kongresses. Ich führe bloß dieses Beispiel an, könnte aber alle Reden des Genossen Sinowjew, seine Antwort usw. nennen.

Es ist offenbar, daß es sich nicht um diesen besonderen Punkt handelt. Es ist aber Tatsache, daß die Einheitsfront uns durch die Internationale und durch die internationalen Kongresse in der Form eines Blocks mit Arbeiterparteien, eines Blocks der Kommunistischen Partei mit andern, sogenannten Arbeiterparteien dargestellt worden ist.

Die Verantwortung für diese falsche Auslegung der Einheitsfronttaktik fällt daher auf die gesamte Internationale, die Mehrheit der internationalen Kongresse und die Leitung der Internationale. In Deutschland ist das gleiche geschehen. Die Tatsachen zeigen, daß während einer gewissen Periode vor der gewaltigen Enttäuschung, die wir erlebten, in Deutschland unter Zustimmung der Internationale eine Koalitionspolitik betrieben wurde, und man gab sich der Illusion hin, daß linke Sozialdemokraten in eine revolutionäre Aktion zusammen mit der Kommunistischen Partei gezogen werden können. Die gleichen Illusionen zeigten sich auch in andern Ländern.

Wenn wir nun diese Erfahrungen mit Nutzen liquidieren wollen, so müssen wir klar sagen, daß diese Illusionen nicht die persönlichen Illusionen dieses oder jenes Genossen von der Zentrale der KPD waren, sondern die Illusionen der großen Mehrheit der Internationale und selbst der Leitung der Kommunistischen Internationale. Und nunmehr, da die Lage sich ändert, kommen wir zu der Auffassung zurück, daß die Einheitsfront eine Taktik ist, der wir uns bedienen müssen, weil die Teilforderungen das grundlegende Gebiet in unserer Agitationstätigkeit sind, daß aber die politische Selbständigkeit der Kommunistischen Partei als Organ der Revolution nie aufgegeben werden darf, das muß lauter verkündet werden als bloß im Zusammenhang mit einem administrativen oder bürokratischen Bericht. Die Liquidierung muß in einer Weise erfolgen, die für die Zukunft und für die internationale kommunistische Aktion eine völlige Gewähr bieten soll.

Ich gehe nun zur Arbeiterregierung über. Hier liegen die Dinge ganz ähnlich. Ich brauche nicht die Thesen des 4. Kongresses anzuführen, weil der Genosse Sinowjew selbst an sie erinnert hat. Nun, wir stehen noch immer auf dem gleichen Fleck. So ist z. B. in der Rede des Genossen Graziadei, die ich erwähnt habe, die Arbeiterregierung so dargestellt, wie sie Genosse Radek darstellt, als ein strategisches Manöver, das auch auf parlamentarischem Gebiete stattfindet (weil niemand sagt, daß es eine rein parlamentarische Aktion ist, weder Genosse Graziadei noch Genosse Radek), als ein Manöver, das während der Aktion der Massen, aber unter gleichzeitiger Ausnutzung der bürgerlichen Demokratie ausgeführt werden soll. Wir haben in den Thesen, die wir dem 4. Kongreß unterbreiteten, diese Auslegung abgelehnt und erklärt, daß sie grundlegende prinzipielle Fragen in bezug auf das Staatsproblem und die Eroberung der Macht, was das Beste in unserm Programm ist und unsere Organisation in ihrer historischen Rolle kennzeichnet, gefährde. Man wollte das aber nicht zugeben. Man nahm diese Auslegung an, und heute, wenn ich mich daran erinnere, daß bei der Diskussion über diese Frage die Genossen Sinowjew und Radek mir übereinstimmend erklärten, daß sie sich schließlich über eine Formel in bezug auf die Frage der Arbeiterregierung geeinigt haben, muß ich es als eine richtige Einschätzung anerkennen, wenn uns gesagt wird, daß diese Phrase irrtümlich im Text unterlaufen sei. Es handelt sich nicht um den Genossen Graziadei, den Genossen Radek und den Genossen Sinowjew, oder um diesen oder jenen in der KI mehr oder minder tonangebenden Genossen, es handelt sich um die Frage, in welcher Weise die Internationale das Problem der Einheitsfronttaktik eingeschätzt hat, wie auch darum, daß die Tatsache, daß die Internationale ihre Einschätzung jetzt selbst ändern will, nach Gebühr gewürdigt werden soll.

Das, was diesbezüglich vorgeht, ist eine wirkliche Revision. Es ist keine Liquidierung der Einheitsfronttaktik, weil die Einheitsfronttaktik im revolutionären Sinne bleiben muß, und wir auf sie nicht verzichten können. In bezug auf die Taktik der Arbeiterregierung behaupte ich aber, daß es sich um eine wirkliche Liquidierung handelt. Es genügt nicht zu sagen: Wir behalten die Formel der Arbeiterregierung als eine Agitationsformel, als eine Parole, die in die Arbeitermasse geschleudert werden soll, im klaren Bewußtsein, daß es sich um ein Pseudonym oder Synonym der Diktatur des Proletariats handelt, und daß wir an den grundlegenden Momenten unserer Prinzipien in der Frage der revolutionären Eroberung der Staatsmacht nichts geändert haben.

Genossen! Im Juli 1922 haben wir eine ganz analoge Formel angenommen, und Genosse Rossi hat soeben richtig erklärt, daß dieser Ausdruck auch jetzt angenommen werden könnte. Wir stehen noch immer auf dem gleichen Fleck. Es ist dies ein bedingter Ausdruck. Warum sollte nun dieser bedingte Ausdruck abgelehnt werden, wenn ihr uns erklärt, daß die Arbeiterregierung die Diktatur des Proletariats, die Eroberung der Macht durch die revolutionäre Aktion bedeutet? Ich will aber ein wenig mehr ultralinks sein als mein Freund Rossi. Im Grunde sind wir einig. Wir verlangen Texte und Resolutionen, die die Taktik der Arbeiterregierung in der rechten Auslegung, die hier Genosse Radek gab, und die in jener Periode, in der die ganze Internationale gegen die Handlungen Radeks in der deutschen Rechten nichts zu sagen fand, von der deutschen Rechten befolgt wurde, entschieden liquidieren. Ich glaube aber, Genossen, daß wir sogar verlangen müssen, daß diese Frage endgültig begraben werden soll. Erlaubt mir, ganz offen zu sprechen. Ich betrachte die Taktik als liquidiert. Ich will gegen dieses Phantom, das niemand verteidigt, nicht mehr kämpfen. Ich glaube aber, daß, wenn ich den Text der Rede des Genossen Bucharin aufmerksamer hätte prüfen können, ich wohl gesehen hätte, daß etwas mehr übrig geblieben ist als der einfache Ausdruck, der als das Pseudonym der proletarischen Diktatur gelten soll. Selbst wenn ich das ins Auge fasse, was Genosse Ercoli vom Zentrum unserer Partei in seiner hier gehaltenen Rede und der Genosse Scoccimarro im Laufe unserer Parteidiskussion behauptet hatten, so könnte ich sagen, daß von der Ausnützung der bürgerlichen Demokratie etwas zurückgeblieben ist. Natürlich, es ist kompliziert, mit Massenaktionen verknüpft, stark mit revolutionären Notwendigkeiten gestützt, aber etwas ist geblieben. Ich will mich damit nicht näher beschäftigen, sondern will den Wert des Ausdrucks "Arbeiterregierung'' untersuchen. Dieser Ausdruck soll eine einfache Übersetzung der lateinischen Worte "Proletarische Diktatur" ins Russische sein. Welchen Nutzen haben wir von einer solchen Übersetzung? Der Ausdruck an und für sich entspricht nicht dem Bild, das wir von der Eroberung der Macht geben wollen. Die proletarische Diktatur ist ein so wunderbarer Ausdruck von Marx, daß es bedauerlich ist, daß man ihn auf eine so wenig höfliche Art durch das Fenster eines kommunistischen Kongresses hinausbefördern will. Ich sehe in diesen beiden Worten eine klare Formulierung unserer gesamten politischen und programmatischen Auffassung. Die Worte "Proletarische Diktatur" sagen mir sofort, daß die proletarische Macht ausgeübt werden wird, ohne der Bourgeoisie eine politische Vertretung zuzugestehen; sie sagen mir auch, daß die proletarische Macht lediglich durch die revolutionäre Aktion, durch den bewaffneten Aufstand der Massen erobert werden kann. Wenn ich "Arbeiterregierung'' sage, so kann man, wenn man will, das gleiche verstehen. Wenn man aber nicht will, so kann man darunter auch eine andere Regierung verstehen, für die nicht die Tatsache charakteristisch ist, daß sie die Bourgeoisie aus den politischen Vertretungsorganen ausschließt, wie auch nicht die Tatsache, daß die Eroberung der Macht durch revolutionäre Mittel und nicht durch gesetzliche Mittel erfolgt ist. [Zurufe von den französischen Bänken: Sehr richtig!] Der Ausdruck ist nicht richtig gewählt. Er vermittelt uns nicht die entsprechende Idee. Man sagt uns: Wenn wir "Proletarische Diktatur" sagen, so begreifen uns die Massen nicht, sagen wir aber "Arbeiterregierung'', so werden uns die Massen begreifen, und wir werden unter jenen Schichten, die wir durch unsere theoretische Propaganda noch nicht erobern konnten, Anhänger gewinnen.

Hierauf beschrankt man die sehr bescheidene Rolle der Formel der Arbeiterregierung. Ich stelle aber auch dieses in Abrede, denn ich sehe nicht die praktische Zweckmäßigkeit dieser Formel. Um die Worte "Proletarische Diktatur" haben sich Ereignisse abgespielt, die die breitesten Massen des Weltproletariats dermaßen interessierten, daß selbst die Arbeiter der Länder außerhalb Sowjetrußlands sehr wohl wissen, was die proletarische Diktatur bedeutet und diese instinktiv verlangen, selbst wenn sie unter dem Einfluß sozialdemokratischer Führer stehen. Was kann aber von der Arbeiterregierung ein einfacher Arbeiter, ein einfacher Bauer verstehen, wenn es uns, den Führern der Arbeiterbewegung, nach drei Jahren noch nicht gelungen ist, den Begriff der Arbeiterregierung zufriedenstellend zu definieren? [Beifall].

Ich verlange ganz einfach ein Begräbnis dritter Klasse für die Taktik und zugleich für die Worte der Arbeiterregierungsparole. Nun sagt man uns aber: Seid ihr aber schlechte Jungen. Die Internationale geht nach links, ihr seid aber noch immer nicht zufrieden und verlangt mehr. Zugegeben nun, daß die Internationale nach links geht, so möchte ich, wenn es mir erlaubt ist, auf meine Rede auf dem 4. Kongreß Bezug zu nehmen, bemerken, daß das, was wir an der Tätigkeit der politischen Führung der Internationale kritisierten, gerade diese Fähigkeit ist, nach rechts oder nach links zu gehen, wie es durch die Lage geboten scheint, und wie man es in Anbetracht der Entwicklung der Ereignisse für zweckmäßig halt. Solange man das Problem der Elastizität, des Eklektizismus nach dem von mir gebrauchten Ausdruck - der eine sehr scharfe Antwort von seiten des Genossen Bucharin hervorrief (dieses Wort bildet den Kern einer bolschewistischen Kampagne gegen den sozialdemokratischen Opportunismus) -, nicht erörtert haben wird, solange diese Elastizität bleibt und Schwankungen stattfinden können, läßt uns ein starkes Abschwenken nach links ein noch stärkeres Abschwenken nach rechts befürchten.

Wir verlangen in der gegenwärtigen Lage keine linke Abweichung sondern eine klare und genaue Richtigstellung der Taktik der Internationale. Diese Richtigstellung muß nicht in der Weise geschehen wie wir es verlangen, sie kann der Auffassung der Mehrheit der Internationale, ihrer Führer, die das größte Recht auf Berücksichtigung ihrer Meinung und Auffassung haben, entsprechen, sie soll aber in einer klaren Weise erfolgen. Wir wollen wissen, wohin wir gehen.

Da wir nunmehr mehrere Erfahrungen haben, da wir festgestellt haben, daß nach der Annahme der Formel der Arbeiterregierung auf dem 4. Kongreß die Arbeiterregierung aus einem Pseudonym der proletarischen Diktatur zu einem Synonym des vulgären Parlamentarismus geworden ist, verlangen wir, um in Zukunft vor solchen Überraschungen sicher zu sein, daß diese Phrase gestrichen werde.

Es ist aber hiermit eine sehr ernste Frage verbunden. Man sagt uns: Was macht ihr aber, Genossen, mit der Disziplin? Was macht Ihr aus der Notwendigkeit, eine fest organisierte, zentralisierte Partei zu haben? Ihr brecht diese Disziplin, ihr weigert euch, euch der Auffassung der Internationale unterzuordnen. Ihr habt ständig Meinungsverschiedenheiten mit der Internationale. Ihr müßt begreifen, daß im Organ des Weltproletariats solche Disziplinlosigkeiten unzulässig sind.

Hierauf antworten wir vor allem, daß solche Tatsachen nicht durch unsern Willen hervorgerufen werden, sondern meines Dafürhaltens, gleich allen disziplinarischen und organisatorischen Rechts- und Linksabweichungen, gerade dadurch entstanden sind, daß die Internationale mit zuviel Elastizität und einer ungenügenden Präzision in den politischen und praktischen Fragen geleitet wird. Bevor ich fortfahre, muß ich in Klammern einen Standpunkt richtigstellen, den der Genosse Sinowjew mir zuschrieb, als er sagte, daß ich in unserer Parteidiskussion behauptet hatte: Entweder wird sich der 5. Kongreß meinen Standpunkt, d. h. den Standpunkt der italienischen Linken, zu eigen machen, oder aber wir werden in der Internationale eine linke Fraktion zur Bekämpfung der Leitung der Internationale organisieren.

Ich habe das nicht gesagt. Zur Beruhigung der Genossen, die einen Konflikt mit der Internationale befürchteten, sagte ich: In dem einzigen Fall, daß eine weitere Abweichung in der Richtung eines Rechtsrevisionismus der Internationale zutage treten sollte, müßte mit der Bildung einer Linksfraktion geantwortet werden.

Ich habe aber nicht gesagt, daß in der Internationale, so wie sie ist, oder in der, wenn man so will, nach dem 5. Kongreß nach links gegangenen Internationale die Bildung einer linken Fraktion notwendig oder auch nur zulässig sei. Dies ist etwas ganz anderes, und ich bitte den Genossen Sinowjew, dies zur Kenntnis zu nehmen. [Sinowjew: Sehr gerne!] [Lachen, Beifall.] Das berühmte Dilemma: Bordiga oder die Internationale, muß somit wegfallen. Es wäre sogar lächerlich, es aufzustellen. Denn es müßte gegen meine Wenigkeit unverzüglich zugunsten der Internationale gelöst werden.

Wir wollen eine wahre Zentralisation, eine wahre Disziplin schaffen. Wir sind alle für Zentralisation und Disziplin. Wir wollen aber die richtigen Voraussetzungen schaffen, um wirklich eine Gewähr für dieses Ergebnis bieten zu können, das nicht von dem guten Willen eines Genossen X oder Y abhängig gemacht werden kann, der nach 20 Sitzungen ein Übereinkommen unterzeichnet, in dem die Rechte und Linke sich schließlich geeinigt haben usw. usw. Mit einem solchen System wird man nie eine vollständige Disziplin garantieren können, die in die Wirklichkeit, in die Aktion, in die Leitung der revolutionären Bewegung des Proletariats hineingetragen werden und die Welteinheit herstellen muß, die aber in ihrem Ursprung etwas Spontanes, eine unmittelbare Folge des Klassenkampfes ist. Um diese vollständige, disziplinierte Zentralisation erreichen zu können, ist eine Klarheit der taktischen Führung und eine Kontinuität in der Bildung unserer Organisationen in den Grenzen, die uns von andern Parteien trennen, notwendig.

Aus diesem Grunde bringe ich noch einmal unsere alte Auffassung vor: Gegen die organisatorische Fusion mit andern Parteien; gegen die politische Zellenbildung in andern Parteien; und auch gegen die Institution von sympathisierenden Parteien - ein Problem, das bei der Aussprache über den neuen Statutenentwurf behandelt werden kann.

Wir sind dagegen, daß es neben kommunistischen Parteien, die ernstlich einer sehr strengen disziplinarischen Bestimmung untergeordnet sind, Parteien geben soll, die sich in der äußerst bequemen Lage befinden würden, im Schatten der Fahne der Internationale zu leben, ohne zu etwas verpflichtet zu sein, und sogar mit der Möglichkeit, frei von unserer Kontrolle, den Verrat am Proletariat vorzubereiten.

Man sagt uns: Ihr habt kein Vertrauen zur Internationale. Die Sprache, die ihr führt, zeugt davon, daß ihr nicht sicher seid, daß die Internationale stets revolutionär bleiben wird. Ihr mißtraut ihr. Die Internationale kann aber nicht dulden, daß in ihren Reihen ein Mißtrauen ihr gegenüber herrsche, daß man kein Zutrauen zur sicheren revolutionären Entwicklung ihrer Aktion habe. Man sagt uns: Die Gewähr ist vorhanden; diese Gewähr ist gegeben dadurch, daß an der Spitze der Internationale die russische bolschewistische Partei steht, diese Partei, die eine so gewaltige revolutionäre Tradition hat, und die die Staatsmacht im ersten proletarischen Staat in den Händen hat. Das muß euch eine genügende Gewähr dafür bieten, daß die Internationale nicht zu weit nach rechts geht, daß sie stets auf der revolutionären Linie bleiben wird. Das war es, was unsere Genossen vom Zentrum uns bei unserer Parteidiskussion gesagt haben.

Sinowjew sagt, daß ich mich über diese Frage mit viel Mut geäußert habe! Ich nehme dieses Kompliment mit Freuden zur Kenntnis, und ich werde fortfahren, mich mit dem gleichen Mut zu äußern.

Ich glaube, daß die gewaltige Bedeutung des Beitrages des Bolschewismus zur revolutionären Befreiungsbewegung des Weltproletariats gerade in der ganz besonderen Lage begründet ist, in der die russische Partei sich befand. Sie hatte es nicht mit einem in höchstem Grade entwickelten Kapitalismus, einem zahlenmäßig in höchstem Grade starken und fortgeschrittenen Proletariat zu tun. Sie stand nicht einer schon vollzogenen bürgerlichen Revolution und einem schon durchlebten demokratischen Stadium gegenüber. Trotzdem hat aber diese Partei von dort schöpfen können, wo es einen hochentwickelten Kapitalismus, ein entwickeltes Proletariat und die wahre revolutionäre Theorie gab. Diese Theorie wurde in großartiger Weise dort angewendet, wo die größte Wahrscheinlichkeit für einen Mißerfolg bestand, und sie gab einen schlagenden Beweis ihrer Richtigkeit. Dies war eine grandiose Probe und der wahrhaft gewaltige Beitrag des Bolschewismus zur Sache des Weltproletariats zuerst in der Epoche der russischen Revolution und dann in den ersten Jahren des goldenen Zeitalters der Internationale.

Dürfen wir aber dies nicht vergessen (ohne in die der Sozialdemokraten zu verfallen, die einen sehr banalen und unmittelbaren Parallelismus zwischen der kapitalistischen Entwicklung und: den revolutionären Kräften feststellen wollen), so dürfen wir auch nicht vergessen, daß, wenn es der bolschewistischen Partei gelungen ist, diese Synthese der besonderen Entwicklung Rußlands mit den revolutionären Erfahrungen der ganzen Welt zustande zu bringen, dies auch deshalb geschah, weil ihre Führer gezwungen waren, zu emigrieren und im Milieu des westlichen Kapitalismus zu leben, wo es ein Proletariat gab, das seine Theorie und seine Politik zu schmieden verstanden hatte. Die historische Entwicklung des Weltkapitalismus, der imperialistische Krieg 1914 ermöglichte ihnen die großartige und siegreiche Anwendung dieser Weltdoktrin, wie es der revolutionäre Marxismus, der Leninismus ist, weil Lenin nicht bloß Rußland, sondern der ganzen Welt, uns allen gehört. [Beifall.]

Ich will aufrichtig erklären, daß in der gegenwärtigen Lage die Internationale des revolutionären Weltproletariats der Kommunistischen Partei Rußlands einen Teil der zahlreichen Dienste, die sie von ihr empfangen hat, vergelten muß.

Die vom Standpunkte einer revisionistischen Rechtsgefahr gefährlichste Lage ist die Lage der russischen Partei, und die übrigen Parteien müssen sie daher unterstützen. In der Internationale muß die russische Partei den Kräftezuschuß finden, den sie benötigt, um standzuhalten gegenüber dieser wahrhaft schwierigen Lage, in der die Anstrengungen unserer Genossen, die die russische Partei leiten, wahrhaft bewunderungswürdig sind. Der gewaltige Beitrag der russischen Partei zum Werk der Internationale ist für uns zweifellos eine Gewähr. Wir wollen aber, daß die wahre Gewähr in der gesamten Masse des revolutionären Proletariats der ganzen Welt liege. Man beschuldigt uns eines Pessimismus gegenüber der Internationale. Sind wir nun tatsächlich pessimistisch in bezug auf die Internationale, oder haben wir es nicht vielmehr mit einer Art Pessimismus der Leitung der Internationale in bezug auf die revolutionäre Fähigkeit des Proletariats anderer Länder zu tun? Es scheint, daß manche Genossen sich fragen, ob wir nicht einer Stagnationsperiode der Weltrevolution gegenüberstehen, einer Isolierung der kommunistischen Parteien, die um die KPR entstanden sind, und die bloß Gruppen, politische Schulen sind, ohne die Kraft, das zu verwirklichen, was die russische Partei verwirklicht hat.

Ich glaube, daß diese Einschätzung der Massen des Westens in sehr übertriebener Weise pessimistisch ist.

Wir beschäftigen uns stets mit dem Problem der Eroberung der Massen. Dies ist ein Grundproblem. Wir können es uns aber auch in einer gekünstelten Weise vorstellen. Die Massen des Westens sind revolutionärer, als man es glaubt. Natürlich müssen, damit die Bedingungen für eine siegreiche Entwicklung der Revolution in andern Ländern geschaffen werden, gewisse Verhältnisse eintreten, und es ist, was uns betrifft, notwendig, daß wir der Lage stets gewachsen sind.

Aber schon jetzt kann eine günstige psychologische und politische Bedingung bei dem Proletariat des Westens festgestellt werden. Ich werde ein sehr banales Beispiel anführen, berufe mich aber auf die Erfahrung der Genossen, die in den einzelnen Ländern der Welt arbeiten. Wir haben die Parlamentswahlen in drei großen europäischen Ländern gesehen. Wir hatten hier eine gute Gelegenheit: Trotzdem wir aber überall versucht haben, bei den Wahlen eine Koalition mit andern Parteien zu bilden, mußten wir in allen diesen Ländern selbständig, vor dem Proletariat die kommunistische Fahne hochhaltend, auftreten. Gegenüber den rechten und linken Gruppen der Bourgeoisie traten wir für das kommunistische Programm in seiner Gesamtheit ein und forderten das Proletariat auf, für dieses Programm Stellung zu nehmen. Es hat sich gezeigt, daß fast zur gleichen Zeit in diesen drei großen Ländern eine bedeutende Anzahl von Arbeitern sich bereit zeigte, der Kommunistischen Partei Gefolgschaft zu leisten. Dies ist von gewaltiger Bedeutung, von einer zehnmal größeren, als wenn wir in einem Lande die Taktik der Zusammenarbeit, in einem andern die Form der Koalition und wieder in einem andern z. B. die autonome Taktik befolgt hätten. Die Massen des Westens konnten feststellen, daß es in allen Ländern eine Gruppe mit dem gleichen politischen Programm gibt, daß diese Gruppen eine wahre Internationale bilden, was einen gewaltigen Eindruck auf die Arbeiterklasse machte.

In Italien, wo die Reaktion ihren größten Sieg errungen hat, haben wir die Lage von Tag zu Tag verfolgt, und wir können sagen, daß selbst hier zwar die Masse zerstreut, desorganisiert, geschlagen wurde, aber revolutionär geblieben ist. Die Zahl der revolutionären Arbeiter hat zweifellos zugenommen, und ihre revolutionäre Qualität ist durch diese schwere Erfahrung zweifellos besser geworden. Gerade aus diesem Grunde haben wir Vertrauen zur Internationale, weil die Internationale das Proletariat der ganzen Welt ist, das zum Kampfe für seine Befreiung von der kapitalistischen Ausbeutung geführt werden soll, weil die Internationale die russische Revolution, die bewunderungswürdige Tradition der Befreiungsbewegung des russischen Proletariats und gleichzeitig die revolutionäre Tradition des Proletariats anderer Länder ist, die nicht außer acht gelassen werden darf, weil selbst unter der II. Internationale, in der guten Periode der II. Internationale und sogar in der Periode der Entartung der II. Internationale, im Proletariat der verschiedenen Länder Gruppen geblieben sind, die die Treue zum revolutionären Programm bewahrten. Dieser Gesamtheit der Weltkräfte, der Welteinheit dieser Kräfte gehört der Name Lenins und der russischen Revolution, die für uns bloß die erste Schlacht der internationalen Revolution ist, auf die wir voll hoffen.

Wir stellen noch einmal unseren Optimismus, unser Vertrauen zur Revolution und zur Internationale fest. Wir wollen bloß einen bescheidenen, aber aufrichtigen Beitrag liefern zu der Arbeit, die uns zu diesem grandiosen Ziel führen soll. Wir zweifeln nicht, daß eines Tages die internationalen Kongresse sich versammeln werden, um in der ganzen Welt den errungenen Sieg über die kapitalistische Unterdrückung festzustellen. [Beifall.]

Source
Author Amadeo Bordiga
n+1 Archives Typed copy Ref. DB 00000
Level of Control Null