Neunte Sitzung Der Erweiterten Exekutive Der Kommunistischen Internationale (EKKI)

25. Februar 1926

Diskussion über den Bericht der Exekutive.

BORDIGA: Genossen, in meiner Rede habe ich mich mit den allgemeinen Fragen der Politik der Internationale beschäftigt. Verschiedene Redner sind nicht nur auf meine allgemeinen Behauptungen eingegangen, sondern haben hier auch ein wenig von den Italienischen Problemen gesprochen, die ich fast gar nicht berührt hatte. Ich bin gezwungen, das, was hier gesagt worden ist, ganz kurz zu beantworten.

Sprechen wir vor allem von dem berühmten System, von der neuen Theorie der italienischen Linken. Man sagt immer: "Das System Bordigas, die Theorie Bordigas, Bordigas Metaphysik", und man stellt fest, daß ich hier alleinstehe, daß ich stets nur meine eigenen Ideen und meine eigene Kritik verteidige. Man will meine Haltung als eine absolut persönliche hinstellen. Aber obgleich man erst vor kurzem die "offizielle' Niederlage der italienischen Linken, über die ich hier noch einige Worte sagen werde, festgestellt hat, muß ich noch einmal erklären, daß ich den Kongreß hier nicht mit individuellen Geistesprodukten unterhalte, sondern daß ich die Ansichten einer Gruppe innerhalb der kommunistischen Bewegung Italiens vertrete. Es ist nur eine unbedeutende Gruppe, konnte man sagen, eine kleine Minderheit; doch glaube ich, daß das nicht richtig ist. Ein Genosse, ein Arbeiter von der Linken, der in Rußland lebt, sagte mir vor einigen Tagen sehr interessante Dinge, nämlich: "Wir spielen gewissermaßen eine internationale Rolle. Denn das italienische Volk ist ein Volk von Emigranten im ökonomischen und sozialen Sinne des Wortes, und seit dem Faschismus auch im politischen Sinne des Wortes". Und in der Tat, nach dem Marsch auf Rom sind Tausende von guten Genossen in der ganzen Welt verstreut worden, und sie haben in den verschiedenen Parteien ihr Bestes getan. Dieser Genosse tat eine naive Äußerung, die ich recht interessant finde: "Uns geht es so ähnlich wie den Juden, und wenn man uns in Italien geschlagen hat, so können wir uns damit trösten, daß auch die Juden nicht in Palästina sondern an anderen Orten stark sind..."

Es sind also nicht ausschließlich persönliche Ideen, die ich hier vertrete, sondern es ist der Ausdruck der Ansichten einer ganzen Gruppe.

Betrachten wir das berühmte System der italienischen Linken. Aus unserer Parteitagsdiskussion hat sich ergeben, daß es in verschiedenen grundlegenden Fragen, in den Fragen des Wesens der Partei, der Rolle der Partei, des Verhältnisses zwischen der Tätigkeit der Partei und der allgemeinen Lage, der Beziehung zwischen Partei und Masse, zwischen uns und der Internationale, zwischen uns und dem Marxismus und Leninismus, so wird behauptet, prinzipielle Meinungsverschiedenheiten gibt. Ich kann natürlich jetzt auf die großen theoretischen Fragen nicht wieder eingehen. Das ganze Material des italienischen Parteitages liegt vor, und es ist daraus zu ersehen, daß wir, wenn wir auch offen zugeben, in taktischen Fragen von der Linie der Internationale hinsichtlich der Entwicklung der revolutionären Strategie, wenn wir von der russischen Revolution zur Weltrevolution übergehen, systematische Abweichungen zu haben, wie ich in meiner ersten Rede bereits auseinandergesetzt habe, doch andererseits den Standpunkt verteidigen, daß wir in den allermeisten und in den Programmfragen, in den Fragen des Wesens der Partei und ihrer historischen Rolle, des Verhältnisses zwischen Partei und Masse, eine vom marxistischen Standpunkte vollkommen korrekte theoretische Stellung einnehmen. Mehr als das, wir sind der Ansicht, daß gerade diejenigen, die uns kritisieren im Begriff sind, von diesem richtigen Standpunkt abzuweichen. Wenn z. B, Genosse Ercoli von der offiziellen Mehrheit der italienischen Partei hier in der Betriebszellenfrage mit dem Argument kommt, daß durch die Zellen die Verbindung zwischen Partei und Massen verwirklicht werde und daß sie das wichtigste Tätigkeitsgebiet unserer Partei seien, daß sie sogar unsere gesamte Arbeit beanspruchen, so bin ich der Meinung, daß es sich hier um eine sehr ernste Abweichung handelt. Wir haben in der Italienischen Diskussion viele Abweichungen der Gruppe, zu der Genosse Ercoli gehört, zu charakterisieren versucht, und zwar mittels einer vollkommenen und vertieften Analyse. Wenn die gesamte Arbeit der Partei in der Herstellung einer Verbindung mit den Massen besteht, alles andere also von selbst geht, sobald diese Verbindung vorhanden ist, dann sind wir beim absoluten Menschewismus angelangt. Die Verbindung mit den Massen ist notwendig, doch besteht ein Teil des Problems darin, daß die Massen in unserer Partei ein Zentrum finden, um das sie sich gruppieren könnten und das fähig ist, sie im Sinne der revolutionären Endziele zu leiten und zu führen. Wir haben das Beispiel von Parteien, die wohl Massen hinter sich hatten, aber da sie keine wirklichen revolutionären Parteien waren, diese Massen zu Niederlagen führten.

Es kann nicht geleugnet werden, daß es Situationen gibt, in denen die Massen dazu getrieben werden, sich nach einer nichtkommunistischen Politik zu orientieren. In diesem Falle ist der Grundsatz Ercolis absolut opportunistisch. Wenn man, anstatt zur Eroberung der Massen zu gelangen, von der Eroberung der Massen als vom höchsten Prinzip ausgeht, so ist es der reinste Menschewismus, den wir vor uns sehen. Es genügt nicht, festzustellen, ob die Zellen uns eine breite Verbindung mit den Massen geben - darüber wäre noch zu diskutieren - sondern ob diese Verbindung eine revolutionäre ist. Wenn jede organische Verbindung mit den Massen an und für sich revolutionär sein soll, so beweist das nur die Richtigkeit unserer Behauptung, daß die Organisation auf der Betriebszellengrundlage zum Ouvrierismus und zum Labourismus führt.

Eine automatische Beziehung zwischen der sozialen Basis im engsten Sinne des Wortes und dem politischen Charakter der Partei erstellen, das ist gerade so, als wollte man behaupten, daß jede Partei, die die Arbeiterklasse organisiert, schon dadurch allein eine revolutionäre Partei sein muß, das aber wäre Menschewismus. Darum behaupte ich, ohne auf dieses Problem näher einzugehen, daß nicht wir den Boden der Theorie von Marx und Lenin verlassen haben. Genosse Bucharin hat meine Rede in sehr freundschaftlicher und Korridore Weise kritisiert. Es braucht hier nicht gesagt zu werden, daß Genosse Bucharin ein guter Polemiker ist, aber er hat es diesmal gemacht, wie er es immer macht... Er stellt meine Aufstellungen in seiner Weise, und im Sinne der seit langem verbreiteten Legende über die Theorien Bordigas dar. Ich behaupte nicht, daß ich schön sei, aber das Bild, das Bucharin von mir entworfen hat, ist häßlich. Er schreibt mir gewisse Formulierungen zu, dann zieht er gegen diese Formulierungen in den Kampf und zerpflückt sie vollständig. Er sagt uns in seiner Rede, daß das innere Regime der KI geändert werden soll. Dabei gibt uns seine eigene Methode der Polemik Anlaß, uns zu dieser Aussicht auf Sanierung des inneren Regimes sehr pessimistisch zu verhalten. Genosse Bucharin treibt hier Agitation. Man treibt also Agitation nicht nur unter den Arbeitern, in der Partei, sondern sogar auf dem Plenum der Erweiterten Exekutive. Gestattet mir, Euch zu sagen, daß es vielleicht noch leichter ist, unter Euch Agitation zu treiben als unter den Arbeitern.

Genosse Bucharin vereinfacht die Ideen. Es ist ein großes Verdienst, Aufstellungen vereinfachen und in wenigen Worten darstellen zu können, aber es ist ein sehr schwieriges Problem, sie zu vereinfachen, nicht indem man sich dabei auf bloße Agitation beschränkt; sondern indem man dadurch teilnimmt an der wirklich ernsten Arbeit, an der gemeinsamen Arbeit, an der wir nach unseren Kräften haben teilnehmen wollen.

Vereinfachen ohne Agitationsdemagogie - das ist das große revolutionäre Problem. Diese Meister der Vereinfachung sind sehr selten. Zweifellos besitzt Genosse Bucharin hervorragende Eigenschaften, deren er sich bedienen sollte, um in diesem Sinne innerhalb der Internationale zu wirken. Aber ich glaube daß wir seit den Reden verschiedener großer Führer der russischen Revolution nicht genügend oft Ausführungen zu hören bekommen haben, die diese große Aufgabe verwirklichen: Vereinfachung ohne Demagogie.

Jetzt will ich einige Worte über gewisse Einwände des Genossen Bucharin sagen. Er präsentiert uns folgendes Argument: die Widersprüche Bordigas haben ihren Ursprung in der Auffassung, daß die Revolution kein Problem der Organisationsform sei; später aber behandelte er das Bolschewisierungsproblem einzig und allein vom Standpunkte der Organisation, wobei er für das ganze Problem eine rein organisatorische Änderung vorschlug: Das Umkehren der berühmten Pyramide. Das alles ist nicht wahr. Vor allem habe ich über die Bolschewisierung von verschiedenen Standpunkten aus gesprochen, ich habe sie vom theoretischen, historischen und taktischen Standpunkt aus kritisiert. Das zeigt also, daß ich die Bolschewisierungsarbeit nicht nur als ein Problem der Organisation, sondern als ein politisches Problem der Tätigkeit und der Taktik der Internationale betrachte. Ferner muß zugegeben werden, daß unsere ganze Opposition sich auf taktische Probleme bezog, und vor allem für diese Probleme schlagen wir seit langer Zeit Lösungen vor, die verschieden sind von denen, die auf den Weltkongressen angenommen worden sind. Es ist absolut klar, daß es sich bei der Lösung des Problems nicht um eine einfache organisatorische Änderung handelt. Darum erwarten wir, daß uns durch die Aktion und durch die Taktik bewiesen werde, daß wir tatsächlich eine gesunde revolutionäre Leitung haben.

Ein anderes Argument des Genossen Bucharin: Bordiga ist gegen die mechanische Übertragung der russischen Erfahrungen auf andere Länder. Aber da er den spezifischen Charakter der Lage in den westeuropäischen Ländern vergessen hat, so hat er sich selbst einer mechanischen Übertragung schuldig gemacht. Mein Ausspruch lautet anders. Ich sagte: Im allgemeinen ist jede russische Erfahrung nützlich. Wir dürfen sie nie vergessen, aber sie genügt uns nicht; ich weise also die Anwendung der russischen Erfahrung nicht zurück, aber ich behaupte, daß in der Erfahrung der russischen Partei nicht die gesamte Lösung der Probleme der revolutionären Taktik enthalten sein kann. Welches ist der besondere Charakter der revolutionären Strategie im Westen, die ich vergessen haben soll? Genosse Bucharin sagt, daß in meiner Darstellung das Vorhandensein großer sozialdemokratischer Parteien und Gewerkschaften nicht erwähnt sei; aber das ist ja gerade der Unterschied, auf den ich eingegangen bin. Um den Unterschied zwischen den Beziehungen zum Staatsapparat in der russischen Revolution und im Westen zu zeigen, sagte ich, daß in den westlichen Ländern seit langer Zeit ein sehr stabiler bürgerlich-demokratischer Staatsapparat besteht, der eine Rolle spielt, wie man sie in der Geschichte der russischen Bewegung nicht kennt. Diese Rolle kann zur Möglichkeit der Mobilisierung des Proletariats durch die Bourgeoisie in opportunistischem Sinne führen, und zwar mittels der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei.

Meine Analyse bezieht sich gerade auf diese grundlegende Tatsache der Lage im Westen. Die Möglichkeiten der ideologischen Mobilisierung der Arbeiterklasse in Ländern, die liberale Traditionen haben, sind sehr viel größer, als sie in Rußland waren, und darum gibt es im Westen eine starke Entwicklung der sozialdemokratischen Organisationen. Genosse Bucharin kann also nicht sagen, daß ich mich in einem Widerspruch befinde, daß ich mich mechanischer Übertragungen schuldig gemacht habe. Gewiß, ich bin mit ihm nicht einverstanden, wenn er sagt, daß es auf Grund der russischen Erfahrungen gerade die Taktik der Einheitsfront ist, die in breitestem Umfang nach dem Westen übertragen werden muß. Ich glaube, daß die russischen Genossen damit einen Fehler begehen. Gewisse Manöver, die gegenüber der menschewistischen und der sozialrevolutionären Partei, die nicht so fest an den Staatsapparat gebunden waren, gelingen konnten, gewisse taktische Lösungen können nicht ohne Gefahr auf die westlichen Länder übertragen werden. Wenn wir es tun wollen, so werden wir behindert sein durch die Möglichkeit der Mobilisierung des Proletariats durch die Bourgeoisie, und wir werden große Enttäuschungen erleben.

Ich will jetzt diese Analysen nicht weiter führen, übrigens habe ich ja auch schon in meiner ersten Rede darüber gesprochen. Ich stelle nur fest, daß es die Widersprüche, von denen Genosse Bucharin sprach, nicht gibt.

Um die taktischen Probleme lösen zu können, brauchen wir mehr als nur die Bolschewisierung, als die Ansicht, daß man nur die Geschichte der bolschewistischen Partei zu konsultieren braucht, um die Lösungen zu finden. Wir brauchen noch weitere Erfahrungen, und diese Erfahrungen muß die Internationale in der internationalen Bewegung erwerben.

Es gibt noch einen anderen Einwand. Als ich von dem Unterschied der Zellenfrage in Rußland und im Westen sprach, soll ich, wie Bucharin behauptet, gesagt haben, daß die Frage des Staates, d. h. das zentrale politische Problem, das in Rußland von der Geschichte gestellt worden ist, im Westen nicht vor der Geschichte gestellt werden würde. Genosse Bucharin behauptet darum, ich hätte eine pessimistische, sozialdemokratische Perspektive. Ich aber habe gesagt, daß die kommunistischen Arbeiter, wenn wir ihre Tätigkeit auf den Rahmen der Betriebszelle beschränken, Gefahr laufen, das zentrale Problem der Eroberung der Macht zu vergessen. Ich denke, daß dieses Problem auch im Westen von der Geschichte gestellt wird, aber unsere, der Kommunistischen Partei, Rolle besteht eben darin, daß wir dem Proletariat die Mittel geben, dieses Problem in einem einheitlichen Sinne zu lösen. Die Partei muß es vermeiden, Manöver zu machen, die das Bürgertum retten. Sie muß es vermeiden, in den Labourismus zu verfallen, der schon oft der Bourgeoisie geholfen hat, an der Macht zu bleiben; das Problem ist bereits gestellt worden, wir haben das aber nicht auszunutzen verstanden; es genügt also nicht, daß dieses Problem von der Geschichte gestellt wird. Auch dieser Einwand ist also unberechtigt.

Ich gehe zur italienischen Frage über. Genasse Ercoli hat über die, von mir an der Taktik gegenüber den Antifaschisten und am Vorschlag des Gegenparlaments geübte Kritik gesagt, daß diese Kritik falsch sei, weil ich der Analyse der Lage nicht Rechnung trüge, die Zentrale der italienischen Partei aber sich glücklicherweise auf eine exakte Analyse der neuen Lage stütze. Ich behaupte aber, daß diese Analyse falsch war. Wir haben ein Dokument in Händen, über das während der Vorbereitung zum Parteitag viel diskutiert worden ist. Es ist dies der Bericht des Genossen Crameci an die Zentrale, der im September 1924 verfaßt worden ist. (Matteoti ist im Juni getötet worden.) Dieser Bericht enthält eine vollkommen falsche Perspektive, es wird darin behauptet, der Faschismus sei bereits durch die bürgerliche Opposition geschlagen und die Monarchie selber würde den Faschismus auf parlamentarischem Boden praktisch liquidieren.

ERCOLI: Wir haben nur den Kompromiß zwischen dem Faschismus und dem Aventin, der tatsächlich zustandegekommen ist, vorausgesehen.

BORDIGA: Ihr habt die Beseitigung Mussolinis vorausgesehen. Das Kräfteverhältnis zwischen Faschismus und Opposition ist vollkommen falsch eingeschätzt worden, und damit war auch die Analyse der Lage vollkommen falsch. Wir hatten es also mit einem Fehler in der Perspektive und mit einem Manövrierfehler der Partei zu tun. Man hat sich der Formel bedient: Die Lage ist demokratisch. Dieses angebliche Studium der Lage ist wirklich erstaunlich: wenn die Lage reaktionär ist, dann gibt es für die Kommunistische Partei nichts zu tun; ist die Lage demokratisch, dann gibt es für die kleinbürgerlichen Parteien zu tun. Auf die Weise verschwindet unsere Kommunistische Partei ganz.

Ein anderes Argument von Ercoli: Dieses Manöver war gut, weil es Erfolge gezeitigt hat. Vor allem ist die Kritik, die die Genossen von der Linken an der Taktik des Gegenparlamentes geübt haben, bis zu einem gewissen Grade sogar von den Genossen des Zentrums als richtig anerkannt worden. Man sagt z. B., daß der Beschluß, wieder ins Parlament zurückzukehren, viel früher hätte gefaßt werden müssen und nicht erst nach den Parlamentsferien. Wir sagen mehr: Vom ersten Momente an durfte man der bürgerlichen Opposition nicht folgen, durfte man an ihren Sitzungen nicht teilnehmen und nicht mit ihr zusammen die Kammer verlassen.
Die Genossen vom Zentrum sagen: wir haben gut getan, denn wir haben Erfolge gehabt, der Einfluß der Partei ist gestiegen.

Die Lage ist aber folgende: Vollständiger Zusammenbruch der antifaschistischen bürgerlichen und halbbürgerlichen Opposition. In einer solchen Lage hätte die Kommunistische Partei entscheidenden Einfluß gewinnen müssen, vor allem innerhalb der Arbeiterklasse und der Bauernschaft, sie hätte sich durch ihre taktische Linie der Rolle des dritten, vom politischen Kampf unabhängigen Faktors gewachsen zeigen müssen. Die Entwicklung der Ereignisse ist aber nicht in dieser Weise ausgenutzt worden. Der Erfolg, von dem Ercoli spricht, bestand in der Erhöhung der Mitgliederzahl. Diese Frage kann aber nicht mit der Frage der Mitgliederzahl verknüpft werden. Augenblicklich sinkt die Zahl unserer Mitglieder. Unsere Zentrale behauptet aber, das sei ein zahlenmäßiger Vertust, begleitet von einem Anwachsen des Einflusses. Ich sprach von der Rolle der Partei als politischen Faktor der Lage. Ich möchte gern optimistisch sein, aber alles beweist, daß wir nichts gewonnen haben und daß eine sehr günstige Lage von uns nicht ausgenutzt worden ist.

Ich komme zu der letzten Frage, von der ich sprechen wollte, zur inneren Lage der Partei: Man hat uns beschuldigt, eine fraktionelle Organisation zu sein, man hat auf dieser Kampagne die ganze Vorbereitung zum Parteitag aufgebaut. Ich erkläre, daß die linke Fraktion gleich zu Beginn des italienischen Parteitages eine Erklärung abgegeben hat, in der sie die Gültigkeit des Parteitages anfocht und den Entscheid der Internationale verlangte. Ich will hier nicht gewisse Polemiken heraufbeschwören, aber ich verlange, daß Organe der Internationale gewisse Fragen, wie z. B. die unglaublichen Anschuldigungen, die Genosse Ercoli von dieser Tribüne aus gegen die Genossen von der Linken erhoben hat, prüfen. Nie haben wir Parteifunktionäre aufgefordert, die Partei zu verlassen und im Comitato d'Intesa Posten anzunehmen. Das haben wir nie getan, denn das wäre ein großer Fehler gewesen. Das Dokument, auf dem diese Beschuldigung aufgebaut ist, ist immer noch nicht vorgelegt worden. Es gibt nur einen Brief des Genossen, der diese Aufforderung erhalten haben soll, und man behauptet, es existiere auch der Brief, durch den er dazu aufgefordert worden sei. Aber dieser Brief ist nicht vorgelegt worden. Jetzt behauptet man, der Brief sei irgendwo da, aber, wo es sich um eine so schwerwiegende Beschuldigung handelt, haben wir das Recht zu verlangen, daß man sich auf Beweise stütze; dann werden wir nachweisen können, daß diese ganze Behauptung falsch ist. Aber lassen wir das. Man hat von der Tätigkeit der Linken gesprochen. Man hat z. B. gesagt, wir seien in den stärksten Föderationen geschlagen worden, die Partei sei in den Föderationen, in denen wir Einfluß haben, geschwächt worden. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Die Föderationen, von denen Ercoli sprach, Mailand, Turin und Neapel, sind gerade diejenigen, in denen die linke Fraktion am stärksten ist.

Was die Art und Weise anbetrifft, in der der Parteitag vorbereitet worden ist, so ist darüber zu sagen, daß man ein System der Befragung der Partei erfunden hat, demzufolge sogar ich, Bordiga, als Mitglied einer Parteiorganisation, für die Thesen der Zentrale gestimmt habe! Wie konnte man das machen? Darüber ein anderes Mal. Das gibt aber eine Vorstellung von dem Wert der Zahlen, die der Parteitag gegeben hat.

Wir kümmern uns nicht viel darum. Ich will den Genossen nur sagen, daß wir in unserer Polemik auf unserem Parteitag Kritik geübt haben am Ordinovismus, am ideologischen und politischen Standpunkt unserer Parteizentrale. Wir haben zum Schluß, in Anbetracht der Tatsache, daß man uns zwang, in die Zentrale einzutreten, eine präzise Erklärung abgegeben.

Ich komme zum Schluß, Genossen. Was das innere Regime und das Umkehren der Pyramide betrifft, so kann ich hier nicht auf das antworten, was Genosse Bucharin über diese Frage und über die Fraktionen gesagt hat. Aber ich frage: Wird sich in Zukunft in unseren inneren Beziehungen eine Änderung vollziehen? Beweist uns diese Plenarsitzung, daß man einen neuen Weg einschlagen wird? Während man hier behauptet, daß das Regime des Terrors im Inneren aufhören soll, erwecken die Deklarationen der französischen und der italienischen Delegierten einige Zweifel in uns, obgleich die Thesen von der Durchführung dieses neuen Lebens innerhalb der Partei reden. Wir warten darauf, Euch bei dieser Arbeit zu sehen.

Ich glaube, daß die Jagd auf den angeblichen Fraktionismus fortdauern und die gleichen Ergebnisse, wie bisher, zeitigen wird. Wir sehen das auch in der Art und Weise mit der man die deutsche Frage und verschiedene andere Fragen zu regeln versucht. Ich muß sagen, daß diese Methode der persönlichen Demütigung eine beklagenswerte Methode ist, selbst wenn sie auf gewisse politische Elemente angewandt wird, die es verdienen, heftig bekämpft zu werden. Ich glaube nicht, daß dies ein revolutionäres System ist. Ich denke, daß die Mehrheit, die jetzt den Beweis ihrer Orthodoxe dadurch gibt, daß sie sich über den verfolgten Sünder lustig macht, vermutlich aus ehemaligen Oppositionellen, die man gedemütigt hat, besteht. Wir wissen, daß diese Methode auch angewandt worden ist und vielleicht angewendet werden wird auf Genossen die nicht nur eine revolutionäre Tradition haben, sondern auch für unsere künftigen Kampfe wertvolle Elemente bleiben. Diese Manie der Selbstvernichtung muß aufhören, wenn wir wirklich auf die Führung des revolutionären proletarischen Kampfes Anspruch erheben wollen.

Das Schauspiel, das uns diese Plenarsitzung bietet, eröffnet mir trübe Aussichten hinsichtlich der Veränderungen, die in der Internationale stattfinden werden. Ich werde also gegen den vorgelegten Resolutionsentwurf stimmen.

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Author Amadeo Bordiga
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