Der Aktivismus als falsches Hilfsmittel

(Mailänder Versammlung 7.9.1952)

1. Ein geläufiger Einwand, der seinerseits nicht neu ist, sondern schon immer die schlimmsten Entartungsepisoden der Bewegung begleitet hat, besteht darin, die Klarheit und Beständigkeit der Prinzipien zu entwerten, um zum "politischen Handeln" und zum Sich-fortreissen-lassen vom Sog der Bewegung anzuspornen, wodurch der richtige Weg auftun würde. Also: nicht durch Anwendung der Texte und Bewertung früherer Erfahrungen zu fundierten Entscheidungen kommen, sondern ohne weiteres und ohne festen Halt im Pulsieren der Handlung fortgehen.

2. Dieser Praktizismus ist seinerseits eine Entstellung des Marxismus, sei es, daß er dem Entscheidungsvermögen und dem Spürsinn von theoretisch unbedarften Führern und Vortruppsgruppen den Vorrang gäbe, sei es, daß er zu einer Entscheidung und Befragung der "Klasse" und deren Mehrheit führe, unter dem Vorwand, den Weg zu wählen, den die Mehrzahl der von ihren wirtschaftlichen Interessen bewegten Arbeiter vorzieht. Es handelt sich hier um alte Kniffe, und [kein] einziger Verräter, der sich an die herrschende Klasse verkauft hat, ist je gegangen, ohne vorher behauptet zu haben: erstens, daß er der beste und aktivste Vorkämpfer der "praktischen" Interessen der Arbeiter wäre, und zweitens, daß er jetzt nach dem ausdrücklichen Willen der Masse seiner Anhänger... oder Wähler handele.

3. Die revisionistische Abweichung, zum Beispiel jene evolutionistische, reformistische und legalitäre von Bernstein, war ihrem Wesen nach aktivistisch und nicht überspitzt deterministisch. Es ging nicht darum, das weitergreifende revolutionäre Ziel durch das Wenige zu ersetzen, das die Arbeiter in einer bestimmten Situation erreichen konnten, sondern vielmehr darum, vor der brennenden Auffassung des geschichtlichen Bogens die Augen zu schließen und zu sagen: das mittelbare Ergebnis ist alles; stecken wir nicht weltweit sondern örtlich und zeitweilig begrenzt unmittelbare Ziele ab, und dann werden wir solche Ergebnisse nach unserem Willen gestalten können. Die sorelianischen Gewaltanhänger unter den Gewerkschaftlern sagten dasselbe und erlebten dasselbe Ende: die ersten versuchten eher, gesetzgeberische Maßnahmen parlamentarisch durchzusetzen, die zweiten Erfolge im Betrieb oder in der Berufskategorie - beide kehrten den historischen Aufgaben Rücken.

4. Alle diese und andere tausend Formen von "Eklektizismus", d.h. der geforderten Freiheit, die Fronten und die Theorie zu ändern, begannen mit einer Verfälschung, nämlich jener, daß die Weisungen und Texte von Marx und Engels eine solche "Korrektur" des Endzieles und Anpassung an Umwege gestatteten. In all unserer Arbeit haben wir mit der Wiedergabe von Abhandlungen und ausschöpfenden Zitaten, die Beständigkeit der Linie nachgewiesen, unter anderem in der Schärfe, mit der die späteren Werke und Texte sich auf grundlegende Stellen und Theorien der ersten mit den allergleichen Worten und mit derselben Tragweite beriefen

5. Leere Legende ist also jene der zwei sukzessiven "Seelen" des jungen und reifen Marx. Der erste wäre noch ein Idealist, Voluntarist und Hegelianer, und, unter dem Einfluß der letzten Zuckungen der bürgerlichen Revolutionen, ein Barrikadenkämpfer und Aufständischer; der zweite - Realist, Evolutionist, legalitäre - hätte sich in einen kalten Analytiker der zeitgenössischen ökonomischen Erscheinungen gewandelt. Gerade die wiederholten Abweichungen in der langen, von uns so oft illustrierten Reihe, sind - ob sie sich nun im vulgären Sinn als Extremisten oder als Gemäßigte vorgeben - da sie sich an die revolutionäre Spannung des dialektischen Materialismus nicht halten, in einen gleichermaßen bürgerlichen, idealistischen, individualistischen , "aufklärerischen" Abweg geraten. Geschwätzige, "konkrete" und zufällige Tätigkeit; Passivität; unüberwindbare revolutionäre Ohnmacht im weltgeschichtlichen Maßstab.

6. Es genügt, daran zu erinnern, daß die Schlußfolgerung des ersten Bandes vom "Kapital" mit der Beschreibung der Expropriation der Expropriateure in einer Fußnote darauf hinweist, nichts anderes zu sein als die Wiederholung der entsprechenden Stelle vom "Manifest". Die Wirtschaftstheorien des zweiten und des dritten Bandes sind nichts anderes als Ausarbeitungen auf der Grundlage der Wert- und Mehrwerttheorie des ersten Bandes, mit denselben Termini, Formeln und sogar Symbolen, und der Versuch von Antonio Graziadei, diese in Frage zu stellen, war vergeblich. Willkürlich ist auch die Trennung zwischen dem analytischen Teil mit der Beschreibung des Kapitalismus und dem programmatischen Teil mit der sozialistischen Forderung. Alle Abweichler haben gezeigt, daß sie sich niemals die Kraft der marxistische Kritik des Utopismus angeeignet hatten, genauso wie sie sich nie die Kraft der Kritik des Demokratismus aneignen konnten. Es geht nicht darum, sich ein Ziel auszumalen und sich mit dem Träumen zufrieden zu geben, oder zu hoffen, daß seine rosigen Farben alle dazu bewegen würden, den Traum zu verwirklichen, sondern darum, materiell und solide das zu erlangende Ziel zu erkennen und darauf direkt zuzusteuern in der Gewißheit, daß menschliche Blindheit und Unwissenheit die Realisierung dieses Zieles nicht beeinträchtigen können.

7. Es ist fundamental richtig, daß Marx die Bindung (die die besten Utopisten bereits geahnt hatten) zwischen dieser weit entfernten Realisierung und der heutigen materiellen Bewegung einer bereits kämpfenden sozialen Klasse - des modernen Proletariats - festgehalten hat. Das genügt aber nicht, um die ganze Dynamik der Klassenrevolution zu begreifen. Wenn man das Bauwerk Marx' kennt - dessen Abschluß ihm verwehrt wurde - sieht man, daß er es mit folgender Frage krönen wollte - das aber ohnehin in seinen Gedanken und Texten klar behandelt wurde -: mit der Frage des unpersönlichen Charakters und Handelns der Klasse.

Mit dieser Abhandlung wird die ganze ökonomische und gesellschaftliche Konstruktion in der einzigen Form gekrönt, die der Methode entspricht, die die Behandlung solcher Fragen überhaupt ermöglichte.

8. Es würde nicht genügen zu sagen, daß der marxistische Determinismus die Qualität und die Aktivität des Denkens oder des Kampfes von außergewöhnlich begabten Menschen als Antriebskraft der historischen Ereignisse ausschließt (übrigens: man verwechsle nicht die Antriebsursache mit dem vollziehenden Medium), um sie durch die Klassen als statistische Gemeinschaften von Individuen zu ersetzen, und dadurch nur die idealen Faktoren des Bewußtseins und der Kollektivität vom Einzelnen auf die Menge zu übertragen. Das würde nur bedeuten, von einer aristokratischen zu einer volkstümlich-demokratischen Philosophie überzugehen. Letztere ist von uns doch weiter entfernt als die erste. Es handelt sich im Gegenteil darum, die Position der Ursache umzukehren und sie außerhalb des Ideenbewußtseins, also in physischen und materiellen Tatsachen zu suchen.

9. Die marxistische These besagt, daß es vor allem nicht möglich ist, daß das Bewußtsein vom historischen Weg vorweggenommen in einem einzelnen menschlichen Kopf erscheine, und zwar aus zwei Gründen: der erste besteht darin, daß das Bewußtsein dem Sein, d.h. den materiellen Bedingungen um den Bewußtseinsträger selbst, nicht vorausgeht, sondern ihm folgt; der zweite besteht darin, daß alle Formen des sozialen Bewußtseins aus den parallelen und gleichartigen wirtschaftlichen Verhältnissen entstehen (und zwar immer um eine Phase verzögert, um der allgemeinen Determination ihre Zeit zu geben), in denen sich Massen von Individuen befinden, die eine soziale Klasse bilden.

Historisch viel früher, als sie "gemeinsam denken" können, werden diese zum "gemeinsamen Handeln" gezwungen. Die Theorie dieses Verhältnisses zwischen den Bedingungen der Klasse und der Klassenaktion mit ihrem zukünftigen Endziel bezieht sich nicht auf Personen, in dem Sinne daß sie sich nicht auf einen vereinzelten Autor oder Führer bezieht und nicht einmal auf die "ganze Klasse" als augenblickliche rohe Summe von Individuen in einem bestimmten Land oder in einer bestimmten Zeit; sie kann daher umsoweniger von einer hyper-bürgerlichen "Befragung" innerhalb der Klasse abgeleitet werden.

10. Für uns ist die Diktatur des Proletariats keine beratende Demokratie, die sich auf die Grenzen der Klasse beschränkt, sondern die organisierte historische Kraft, die - gefolgt von einem Teil des Proletariats und unter Umständen nicht einmal von seiner Mehrheit - zu einem bestimmtem Zeitpunkt den materiellen Druck ausübt, der die alte bürgerliche Produktionsweise sprengt, um den Weg zur neuen Produktionsweise, zum Kommunismus, zu bahnen.

In diesem Zusammenhang bilden - worauf Marx immer hingewiesen hat - die Abtrünnigen der herrschenden Klasse, die auf die revolutionäre Seite überlaufen, einen nicht zu unterschätzenden Faktor. Sie bilden ein Gegengewicht zu der Aktion von ganzen proletarischen Massen, die aus materieller oder geistiger Unterwürfigkeit im Dienste der Bourgeoisie stehen, und die fast immer den statistisch größten Teil umfassen.

11. Die ganze Bilanz der russischen Revolution führt unsere Strömung nicht im geringsten dazu, ihre Passiva auf die Verletzung der inneren Klassendemokratie zurückzuführen , oder dazu, an der marxistischen und leninistischen Theorie der Diktatur zu zweifeln, deren Kriterien und Grenzen sich nicht von verfassungsmäßigen oder organisatorischen Formeln, sondern einzig und allein vom historischen Kräfteverhältnis ableiten. Das totale Verlassen des Bodens der Klassendiktatur wird im Gegenteil eben von der totalen, stalinistischen Umkehrung der revolutionäre Methode begleitet. Genauso wie alle anderen, wo auch immer sie auf das Terrain der Demokratie übergehen, verpflichten sich die Ex-Kommunisten der Volks- und Nationaldemokratie und - sowohl innerhalb wie außerhalb Rußlands - geben sie in ihrer ganzen Politik die Klassenziele für nationale Interessen auf und zwar auch in der gewöhnlichen banalen Beschreibung dieser Politik als ein reines staatliches Spionagegesetz außerhalb der Grenzen. Wer den demokratischen Weg versucht landet auf dem kapitalistischen. Und so geht es auch den verschwommenen Antistalinisten, die im Namen der in Rußland unterdrückten proletarischen Stimme losschreien.

12. Unzählige Zitate von Marx könnten herangezogen werden, um die Unpersönlichkeit der Antriebskomponente der historischen Ereignisse nachzuweisen; ohne diese Unpersönlichkeit wäre deren materialistische Auffassung unvorstellbar.

Wir wissen daß das große Werk - das "Kapital" - von Marx nur in seinem ersten Band vollendet wurde. In den Briefen und in den Vorworten erinnert Engels an die harte Arbeit, die erforderlich war, um den zweiten und dritten Band zu ordnen (abgesehen vom vierten, der eine Geschichte der gegnerischen Wirtschaftsdoktrinen darstellt).

Engels selbst hatte noch einige Zweifel hinsichtlich der Reihenfolge der Kapitel und Abschnitte der beiden Bücher die sich mit dem Gesamtprozeß der kapitalistischen Formen befassen, nicht um den Kapitalismus zur Zeit Marx' zu "beschreiben", sondern um zu beweisen, daß - wie immer auch noch geschehen mag - die Form des allgemeinen Prozesses nicht zum Gleichgewicht und zur Gleichmäßigkeit (wie ein Dauerstrom, der keine Gezeiten, kein Tief und keine Überschwemmung kennen würde) hinschreitet, sondern zu einer Reihe von sich verschlimmernden Krisen und zum revolutionären Zusammenbruch der untersuchten "allgemeinen Form".

13. Marx - wie er bereits in der Einleitung von 1859 zur "Kritik der politischen Ökonomie" (erste Niederschrift des "Kapitals") hingewiesen hatte - wollte nach der Behandlung der drei grundlegenden Klassen der Gesellschaft (Grundbesitzer, Kapitalisten Proletarier) sich mit drei anderen Themen befassen: "Staat, internationaler Handel und Weltmarkt". Das Thema Staat wird im Text über die "Pariser Kommune" von 1 871 und in den klassischen Kapiteln von Engels behandelt, von Lenins "Staat und Revolution" ganz zu schweigen; der "internationale Handel" im "Imperialismus" von Lenin . Es handelt sich um die Arbeit einer historischen Schule und nicht um das "Gesamtwerk" einer Person. Das Thema "Weltmarkt" lodert heute im Buch der Ereignisse das niemand entziffern kann und in dem ein sterbender Stalin mit seiner schwachen Theorie eines doppelten Marktes zuwinkte, und indem man den Funken des Brandes festgestellt hätte, den der Weltkapitalismus in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts entfachen wird; man hätte ihn feststellen können, wenn die Forscher sich nicht [daran] gemacht hätten sich den Geschicken von "Vaterland und Volk" und von den pleite gegangenen Ideologien des bürgerlichen Zeitalters zu verpflichten: Friede, Freiheit , Unabhängigkeit, Heiligkeit des Individuums, Rechtmäßigkeit der Wahlentscheidungen!...

14. Nachdem Marx untersucht hatte, wie das Sozialprodukt sich unter den drei Grundklassen teilt und deren Wirtschaftsanteil (weniger genau: deren Einkommen): Grundrente, Profit und Lohn; nachdem er bewiesen hatte, daß die Übertragung der Rente die kapitalistische Ordnung nicht ändern würde, und daß nicht einmal die Übertragung des ganzen Mehrwerts auf den Staat die Grenzen dieser Produktionsweise sprengen würde, (da die Vergeudung lebendiger Arbeit - d.h. die hohe Intensität und Dauer der Arbeit dieselben blieben - wegen des Warencharakters und der Betriebsteilung dieses Systems; dann schließt Marx den strikt ökonomischen Teil wie folgt ab:

"Was die kapitalistische Produktionsweise speziell auszeichnet , ist die Produktion des Mehrwerts als direkter Zweck und bestimmendes Motiv der Produktion. Das Kapital produziert wesentlich Kapital, und es tut dies nur, soweit es Mehrwert produziert".

(Allein der Kommunismus wird ein Mehrprodukt produzieren, daß kein Mehrwert und somit kein Kapital ist).

Die Ursache liegt jedoch keineswegs in der Existenz des Kapitalisten oder der kapitalistischen Klasse, die nicht nur eine reine Folge darstellen, sogar eine nicht notwendige.

"Während, auf Basis der kapitalistischen Produktion, der Masse der unmittelbaren Produzenten der gesellschaftliche Charakter ihrer Produkte in der Form streng regelnder Autorität und eines als vollständige Hierarchie gegliederten (d.h. bürokratisierten!) gesellschaftlichen Mechanismus des Arbeitsprozesses gegenübertritt - welche Autorität ihren Trägern aber nur als Personifizierung der Arbeitsbedingungen gegenüber der Arbeit, nicht wie in früheren Produktionsformen als politischen oder theokratischen Herrschern zukommt - herrscht unter den Trägern dieser Autorität, den Kapitalisten selbst, die sich nur als Warenbesitzer gegenübertreten, die vollständige Anarchie, innerhalb deren der gesellschaftliche Zusammenhang der Produktion sich nur als übermächtiges Naturgesetz der individuellen Willkür gegenüber geltend macht".

Es ist daher notwendig - und dazu genügt es, sich an die überragende Invarianz dieses Textes zu halten -, die angeblichen Aktualisierer des schlampigsten bürgerlichen Vorurteils zu überführen, das für jede gesellschaftliche Unterlegenheit die verantwortliche "individuelle Willkür" oder höchstens die kollektive "Verantwortlichkeit einer Gesellschaftsklasse" sucht; während in Wirklichkeit alles seit ehedem sehr klar war, und der Kapitalist oder die kapitalistische Klasse hie oder da aufhören könnte, das Kapital zu "personifizieren" und doch das Kapital bestehen bleiben würde, vor uns, gegen uns, als "gesellschaftlicher Mechanismus" als "übermächtiges Naturgesetz" des Produktionsprozesses.

15. So das wunderbare 51.Kapitel, das die "Beschreibung" der heutigen Ökonomie abschließt, in jeder Seite aber das Gespenst der Revolution "beschwört". Und das nachfolgende 52. Kapitel, nicht vielmehr als eine Seite lang, jenes, unter dessen abgebrochener Zeile Engels, müde, in Klammern schrieb:

"Hier bricht das Manuskript ab".

Überschrift: "Die Klassen". Wir sind an der Schwelle der Umkehrung der Praxis, und, nachdem die individuelle Willkür über Bord geworfen war, gehen wir auf die Suche nach dem Träger der Revolution.

Zunächst steht da: die Gesetze der reinen kapitalistischen Gesellschaft haben wir mit den genannten drei Klassen aufgezeigt. Diese Gesellschaft gibt es so nicht einmal in England (und zwar nicht einmal 1953), da oder woanders, und wird es niemals geben, ebensowenig wie die zwei einzigen Punkte mit Masse, auf die das Gesetz von Newton den Kosmos beschränkt.

"Die nächst zu beantwortende Frage ist die: Was bildet eine Klasse? [...] Auf den ersten Blick die Dieselbigkeit der Revenuen und Revenuequellen" [...] "Indes würden von diesem Standpunkt aus z.B. Ärzte und Beamte auch zwei Klassen bilden, denn sie gehören zwei unterschiedenen gesellschaftlichen Gruppen an, bei denen die Revenuen der Mitglieder von jeder der beiden aus derselben Quelle fließen. Dasselbe gälte für die unendliche Zersplitterung der Interessen und Stellungen, worin die Teilung der gesellschaftlichen Arbeit die Arbeiter wie die Kapitalisten und Grundeigentümer - letztere z.B. in Weinbergbesitzer , Äckerbesitzer, Waldbesitzer , Bergwerkbesitzer, Fischereibesitzer - spaltet."

16. Ohne Autorenrecht auf einen einzigen Satz zu verlangen kann man das entscheidende Kapitel ergänzen, vom Tod unterbrochen - was für Marx willkürlicher persönlicher Zwischenfall war - würde er in solchen Fällen Epikur zitieren, dem er als junger Student seine Doktorarbeit gewidmet hatte. Wie Engels sagte:

"Alle mit Notwendigkeit eintretenden Ereignisse, tragen ihren Trost in sich".

Umsonst das Weinen. Es ist nicht die Identität der Revenuequellen die die Klassen bildet, wie es "auf den ersten Blick" scheint.

Mit einem einzigen Schlag werden Syndikalismus, Ouvrierismus , Labourismus, Korporativismus, Mazzinianismus, Sozial-Christianismus erledigt, und zwar für immer, ob sie nun der Vergangenheit oder der Zukunft angehören.

Weit hinaus ging unsere Errungenschaft über das schlaffe Erkennen durch die Ideologen des Geistes und des Individuums, der Gesellschaft und des verfassungsmäßigen liberalen Staates, daß es kollektive Kategorieninteressen gibt, und daß sie nicht ignoriert werden können. Einen ersten Sieg für uns könnte man höchstens darin erblicken, daß es vergeblich war, gegenüber der "sozialen Frage" - sogar wenn man sie verharmloste - das Gesicht zu verziehen und die Augen zu schließen. Sie hätte die moderne Welt durchdrungen. Aber etwas ist die Welt kapillarisch zu durchdringen und was anderes sie in tausend Stücke zu zerfetzen.

Es führt zu nichts, die Klassen statistisch nach der Einkommensquelle "qualitativ" auseinanderzuhalten. Idiotischer wäre es noch, sie qualitativ mit Hilfe der "Einkommenspyramide" auseinanderzuhalten. Das wurde schon seit Jahrhunderten getan. In Rom bedeutete staatliche Volkszählung eben Einkommensskala. Seit Jahrhunderten hat man den Philosophen des Elends mit einfachen Rechenbeispielen entgegengehalten, daß wenn man die Pyramide auf ein gleichmachendes Prisma mit gleich großer Basis verflachte, nur die Bettlergesellschaft entstehen würde

Wie soll man qualitativ und quantitativ aus so großer Verlegenheit herauskommen? Denken wir z.B. an ein staatliches Salzbergwerk: der hohe Verwaltungsbeamte bezieht ein Gehalt und wird daher wie der einfachste Lohnarbeiter nach Arbeitszeit bezahlt. Der erste hat aber höhere Einkünfte als viele Fabrikbesitzer und Händler, die vom Profit leben; der zweite viel höhere nicht nur als ein kleiner Parzellenbauer, sondern sogar als ein kleiner Hausbesitzer, der von der Grundrente lebt,...

Die Klasse wird nicht durch eine wirtschaftliche Rechnung gekennzeichnet sondern durch die historische Position in Bezug auf den großen Kampf, mit dem die neue allgemeine Produktionsform die alte überwindet, niederschlägt und ersetzt. Wenn die These idiotisch ist, wonach die Gesellschaft die bloße Summe von ideellen Individuen darstellt, so ist die andere nicht minder idiotisch, wonach die Klasse die bloße Summe von ökonomischen Individuen darstellt. Individuum, Klasse und Gesellschaft sind keine reine ökonomischen oder ideellen Kategorien. Sie sind, im beständigen Wechsel von Ort und Zeit, Produkte eines Gesamtprozesses, dessen wirkliche Gesetze die mächtige marxistische Konstruktion wiedergibt.

Der effektive gesellschaftliche Mechanismus führt und formt Individuen, Klassen und Gesellschaft ohne sie auf jeglicher Ebene zu "befragen".

Die Klasse wird durch ihre historische Bahn und Aufgabe definiert und unsere Klasse also durch die Forderung - mühevolles dialektisches Ziel ungeheurer Bestrebungen -, daß sie aus der Statistik von Zahlen und Stufen, und zwar hauptsächlich sie - denn wenig, wenn überhaupt etwas, bedeutet die bereits vor sich gehende Auflösung der feindlichen Klassen - im Nichts verschwinde.

In ihrer Gesamtheit nimmt sie heute vor unseren Augen unaufhörlich schwankende Varianten an. Sie ist heutzutage für Stalin, für einen kapitalistischen Staat wie Rußland für eine Bande von Parlamentariern und Kandidaten, die bei weitem antimarxistischer sind als Turati und Bissolati, Longuet oder Millerand alle zusammen.

17. Es bleibt also nur die Partei, als aktuelles Organ, das die Klasse kennzeichnet, für die Klasse kämpft, zum gegebenen Zeitpunkt für die Klasse regiert und das Ende der Regierungen und der Klassen vorbereitet; unter der Bedingung, daß sie nicht Partei von Hinz und Kunz ist, daß sie sich nicht von der Bewunderung für die Führer ernährt, daß sie wieder - notfalls mit blindem Glauben - die unveränderliche Theorie, die straffe Organisation und die Methode verteidigt, die nicht vom sektiererischen Vorurteil ausgeht, aber weiß, wie man in einer Gesellschaft, die sich zu ihrer typischen Form entwickelt hat (Israel im Jahre 0, Europa bei der Jahrhundertwende), streng die Kriegsformel anwendet: wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Source: "Kommunistisches Programm", Nr.2, Juli 1974, S.19-28

Source Sul filo del tempo, booklet may 1953.
Author Amadeo Bordiga
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